In einer kleinen Stad
in die Hand. Sie zog den Splitter geistesabwesend heraus, bevor sie das um den Stein gewickelte Papier ablöste. Es trug dieselbe Botschaft.
Wilma eilte durch die anderen Zimmer im Erdgeschoß und entdeckte weitere Verheerungen. Sie wickelte alle Zettel ab. Sie waren alle gleich. Dann kehrte sie in die Küche zurück und betrachtete ungläubig den angerichteten Schaden.
»Nettie«, sagte sie abermals.
Endlich begann der Eisberg von Schock in ihr zu schmelzen. Das erste Gefühl, das an seine Stelle trat, war nicht Wut, sondern Fassungslosigkeit. Diese Frau mußte wahrhaftig verrückt sein. Sie mußte es sein, wenn sie gedacht hat, sie könnte mir – mir - so etwas antun und dann bei Sonnenuntergang noch am Leben sein. Was glaubte sie denn, mit wem sie es zu tun hatte – mit einem samtpfötigen Kätzchen?
Wilmas Hand schloß sich krampfhaft um die Zettel. Sie bückte sich und rieb mit der zerknitterten Nelke aus Papier, die aus ihrer Faust herausragte, heftig über den breiten Hintern.
»Ich wisch mir den Arsch mit deiner letzten Warnung!« schrie sie und feuerte die Zettel in die Ecke.
Dann sah sie sich mit den erstaunten Augen eines Kindes abermals in der Küche um. Ein Loch in der Mikrowelle. Eine große Delle im Amana-Kühlschrank. Überall Glassplitter. Und in dem anderen Zimmer roch der Fernseher, der sie fast sechzehnhundert Dollar gekostet hatte, wie eine Friteuse voll heißer Hundescheiße. Und wer hatte das alles angerichtet? Wer?
Nettie Cobb war es gewesen. Die hatte das alles angerichtet. Miss Geisteskrank von 1991.
Wilma begann zu lächeln.
Jemand, der Wilma nicht kannte, hätte es für ein sanftes Lächeln halten können, ein freundliches Lächeln, ein liebevolles und gutmütiges Lächeln. Aus ihren Augen leuchtete irgendeine starke Emotion; der Uneingeweihte hätte es für Begeisterung halten können. Aber wenn Peter Jerzyck, der sie am besten kannte, in diesem Augenblick ihr Gesicht gesehen hätte, dann wäre er, so schnell seine Beine ihn trugen, in die entgegengesetzte Richtung gerannt.
»Nein«, sagte Wilma mit sanfter, fast liebkosender Stimme. »Oh, nein, Baby. Du weißt es nicht. Du weißt nicht, was es heißt, sich mit Wilma anzulegen. Du hast nicht die geringste Ahnung, was es bedeutet, sich mit Wilma Wadlowski Jerzyck anzulegen.«
Ihr Lächeln wurde breiter.
»Aber du wirst es erfahren.«
Neben der Mikrowelle waren an der Wand zwei Streifen aus magnetischem Stahl befestigt. Die meisten der Messer, die daran gehangen hatten, waren von dem Stein, den Brian in die Mikrowelle geschleudert hatte, abgelöst worden; sie lagen in einem wirren Haufen auf der Arbeitsplatte. Wilma suchte das größte heraus, ein Kingsford-Tranchiermesser mit weißem Knochengriff, und fuhr mit ihrer verletzten Handfläche langsam an der Klinge entlang, wobei sie die Schneide mit Blut verschmierte.
»Ich werde dir schon beibringen, was du wissen mußt.«
Mit dem Messer in der Faust durchquerte Wilma das Wohnzimmer. Das Glas von der zerbrochenen Scheibe und der Bildröhre des Fernsehers knirschte unter den flachen Absätzen ihrer schwarzen Kirchgangsschuhe. Sie ging zur Tür hinaus, ohne sie zuzumachen, und quer über den Rasen zur Ford Street hinüber.
15
Zur gleichen Zeit, zu der Wilma sich aus dem Haufen auf ihrer Arbeitsplatte ein Messer heraussuchte, holte Nettie ein Fleischbeil aus einer ihrer Küchenschubladen. Sie wußte, daß es scharf war; Bill Fullerton unten im Barbiersalon hatte es erst vor knapp einem Monat für sie geschliffen.
Nettie drehte sich um und ging langsam durch die Diele auf ihre Haustür zu. Dort blieb sie stehen und kniete einen Moment neben Raider nieder, ihrem armen Hund, der nie jemandem etwas zuleide getan hatte.
»Ich habe sie gewarnt«, sagte sie leise und streichelte Raiders Fell. »Ich habe sie gewarnt. Ich habe der verrückten Polin jede Chance gegeben. Ich habe ihr jede nur erdenkliche Chance gegeben. Mein liebes, kleines Hündchen. Warte auf mich. Warte auf mich, denn ich werde bald bei dir sein.«
Sie erhob sich und verließ das Haus, wobei sie der Haustür ebensowenig Beachtung schenkte, wie Wilma es getan hatte. Sicherheit hatte aufgehört, Nettie zu interessieren. Sie stand einen Moment auf der Schwelle und holte tief Luft, dann ging sie quer über den Rasen zur Willow Street hinüber.
16
Danforth Keeton stürmte in sein Arbeitszimmer, riß den Schrank auf und tastete darin herum. Einen fürchterlichen Augenblick lang glaubte er, das Spiel wäre fort,
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