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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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einem weiteren, hektischen Blick aus dem Fenster, um sich zu vergewissern, daß Myrt noch nicht in Sicht war, stürmte er mit hämmerndem Herzen nach oben.

17
     
    Wilma und Nettie trafen sich an der Ecke von Willow und Ford Street. Dort blieben sie stehen, starrten sich an wie Revolverhelden in einem Italo-Western. Der Wind ließ ihre Mäntel flattern. Die Sonne verschwand hinter den Wolken und brach wieder durch; ihre Schatten kamen und gingen wie launenhafte Gäste.
    Auf keiner der beiden Straßen war irgendein Fahrzeug zu sehen; auch die Gehsteige waren leer. Diese kleine Ecke des Herbstnachmittags gehörte ihnen.
    »Du hast meinen Hund umgebracht, du Miststück!«
    »Du hast meinen Fernseher zerbrochen! Du hast meine Fenster zerbrochen! Du hast meine Mikrowelle zerbrochen, du verrücktes Biest!«
    »Ich habe dich gewarnt!«
    »Ich bringe dich um!«
    »Einen Schritt vorwärts, dann stirbt hier jemand, aber das werde nicht ich sein!«
    Wilmas sprach diese Worte mit Bestürzung und aufdämmernder Verblüffung; beim Anblick von Netties Gesicht wurde ihr zum erstenmal bewußt, daß es zwischen ihnen beiden zu etwas Ernsterem kommen konnte als Haareziehen und Kleiderzerreißen. Was tat Nettie überhaupt hier? Was war aus dem Überraschungselement geworden! Wie waren die Dinge so rasch an diesem Punkt angelangt?
    Aber tief in Wilmas Wesen steckte etwas von einem polnischen Kosaken, der solche Fragen für irrelevant hält. Hier galt es einen Kampf auszufechten; das war das einzige, worauf es ankam.
    Nettie stürzte auf sie zu und hob dabei das Fleischbeil. Ihre Lippen wichen von den Zähnen zurück, und aus ihrer Kehle kam ein langgezogenes Heulen.
    Wilma duckte sich, hielt ihr Messer vor sich wie eine riesige Schnappklinge. Als Nettie herangekommen war, stieß Wilma damit zu. Es bohrte sich tief in Nettie Eingeweide und fuhr dann hoch, schlitzte ihr den Bauch auf. Stinkender Schleim spritzte heraus. Wilma durchlebte einen Moment des Entsetzens über das, was sie getan hatte – war das wirklich Wilma Jerzyck am anderen Ende des in Nettie vergrabenen Stahls? -, und ihre Armmuskeln entspannten sich. Die Bewegung des Messers kam zum Stillstand, bevor die Klinge Netties pochendes Herz erreichen konnte.
    »O DU MISTSTÜCK!« kreischte Nettie und ließ das Beil niederfahren. Es grub sich tief in Wilmas Schulter und zersplitterte mit einem dumpfen Krachen ihr Schlüsselbein.
    Der Schmerz, eine riesige Holzplanke aus Schmerz, vertrieb jeden Gedanken aus Wilmas Kopf. Nur der rasende Kosak blieb zurück. Sie riß ihr Messer frei.
    Nettie riß ihr Beil frei. Dazu brauchte sie beide Hände, und als es ihr schließlich gelungen war, es aus dem Knochen herauszuhebeln, glitt ein lockerer Klumpen Gedärm aus dem blutigen Loch in ihrem Kleid und hing glitzernd vor ihr.
    Die beiden Frauen umkreisten sich langsam, und ihre Füße hinterließen Abdrücke in ihrem eigenen Blut. Der Gehsteig begann auszusehen wie eine gespenstische Arthur Murray-Choreographie. Nettie spürte, wie die Welt in großen, langsamen Kreisen zu pulsieren begann – die Farbe entwich aus allen Dingen, ließ sie in verschwommenem Weiß zurück, kam dann langsam wieder. Sie hörte ihr Herz in den Ohren, ein langsames, lautes, betäubendes Pochen. Sie wußte, daß sie verletzt war, spürte aber keinen Schmerz. Sie glaubte, Wilma hätte sie vielleicht ein wenig in die Seite gestochen oder so etwas.
    Wilma wußte, wie schwer sie verletzt war; sie konnte den rechten Arm nicht mehr heben und das Rückenteil ihres Kleides war mit Blut durchtränkt. Dennoch hatte sie nicht die Absicht, davonzulaufen. Sie war noch nie in ihrem Leben davongelaufen, und sie würde jetzt nicht damit anfangen.
    »He!« schrie ihnen jemand mit dünner Stimme von der anderen Straßenseite aus zu. »He! Was macht ihr beide da? Hört sofort auf. Hört sofort damit auf, sonst rufe ich die Polizei!«
    Wilma drehte den Kopf in diese Richtung. In dem Augenblick, in dem ihre Aufmerksamkeit abgelenkt war, trat Nettie vor und schwang das Beil in einem flachen Bogen. Es fuhr in die Rundung von Wilmas Hüfte, glitt von ihrem Beckenknochen ab, brach ihn. Blut spritzte in einem Fächer heraus. Wilma schrie und torkelte rückwärts, durchfegte die Luft vor ihr mit dem Messer. Ihre Füße strauchelten, und sie stürzte auf den Gehsteig.
    »He! He!« Es war eine alte Frau, die auf ihrer Vortreppe stand und einen mausgrauen Schal an der Kehle zusammenraffte. Ihre Brille vergrößerte ihre Augen zu wäßrigen

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