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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war. Und angenommen, es war wirklich eine ’56er? Was würde sie ihm nützen mit weniger als einem Dollar in der Tasche?
    Nun, ich kann sie mir ansehen, oder etwa nicht? Ansehen kostet nichts. Auch das war einer der Lieblingssprüche seiner Mutter.
    Aus dem Zimmer hinter dem Vorhang drangen die Geräusche von Kästen, die bewegt und mit dumpfem Aufprall auf dem Boden abgesetzt wurden. »Nur eine Minute, Brian«, rief Mr. Gaunt. Es hörte sich an, als wäre er ein wenig außer Atem. »Ich bin ganz sicher, daß hier irgendwo ein Schuhkarton sein muß...«
    »Bitte machen Sie sich meinetwegen keine Mühe, Mr. Gaunt«, rief Brian zurück und hoffte inbrünstig, daß sich Mr. Gaunt so viel Mühe machen würde, wie erforderlich war.
    »Es könnte natürlich auch sein, daß dieser Karton zu der Sendung gehört, die noch unterwegs ist«, sagte Mr. Gaunt zweifelnd.
    Brians Herz sank.
    Dann: »Aber ich war ganz sicher – warte! Hier ist er!«
    Brians Herz erhob sich – es tat noch mehr, als sich zu erheben. Es flog empor und beschrieb einen Salto rückwärts.
    Mr. Gaunt kehrte durch den Vorhang zurück. Sein Haar war eine Spur zerzaust, und auf dem Revers seines Hausrocks war ein Staubfleck. In der Hand hielt er einen Karton, der einmal ein Paar Air Jordan-Turnschuhe enthalten hatte. Er stellte ihn auf den Tresen und nahm den Deckel ab. Brian stand neben ihm und schaute hinein. Der Karton war voll von Baseballkarten, von denen jede in ihrer eigenen Plastikhülle steckte, genau wie die, die Brian manchmal in The Baseball Card Shop in North Conway, New Hampshire, kaufte.
    »Ich glaubte, es wäre ein Inventarverzeichnis dabei, aber da habe ich Pech gehabt«, sagte Mr. Gaunt. »Aber weißt du, ich habe eine ziemlich gute Vorstellung von dem, was ich auf Lager habe – sonst ließe sich ein Geschäft, in dem man alles mögliche verkauft, überhaupt nicht machen -, und ich bin ganz sicher, daß ich gesehen habe...«
    Er beendete den Satz nicht und begann, die Karten schnell durchzublättern.
    Brian sah, wie die Karten vorbeihuschten, sprachlos vor Erstaunen. Der Mann, dem The Baseball Card Shop gehörte, hatte eine recht gute Kollektion von alten Karten, aber neben den Schätzen, die in diesem einen Schuhkarton steckten, verblaßte der gesamte Bestand seines Ladens. Da waren Kautabakkarten mit den Fotos von Ty Cobb und Pie Traynor. Da waren Zigarettenkarten mit den Fotos von Babe Ruth und Dom DiMaggio und Big George Keller und sogar Hiram Dissen, dem einarmigen Werfer, der in den Vierzigern für die White Sox gespielt hatte. LUCKY STRIKE GREEN HAS GONE TO WAR! verkündeten viele der Zigarettenkarten. Und da, nur ganz flüchtig zu sehen, ein breites, ernsthaftes Gesicht über einem Pittburgh-Dresshemd...
    »Mein Gott, war das nicht Honus Wagner?« keuchte Brian. Sein Herz fühlte sich an wie ein sehr kleiner Vogel, der ihm in die Kehle geraten war und nun dort gefangen saß und flatterte. »Das ist die allerseltenste Baseballkarte in der ganzen Welt.«
    »Ja, ja«, sagte Mr. Gaunt geistesabwesend. Seine langen Finger arbeiteten sich flink durch die Karten, Gesichter aus einer anderen Ära, eingefangen unter durchsichtiger Plastikfolie, Männer, die auf den Putz gehauen und den Ball geworfen hatten und übers Spielfeld gerannt waren, Helden eines grandiosen und längst vergangenen Goldenen Zeitalters, eines Zeitalters, das für diesen Jungen noch in glücklichen Träumen lebendig war. »Von jedem etwas, das ist es, was ein erfolgreiches Geschäft ausmacht, Brian. Vielfalt, Vergnügen, Staunen, Befriedigung – letzten Endes das, worum es auch in einem erfolgreichen Leben geht -, ich erteile keine Ratschläge, aber wenn ich es täte, könnte es nicht schaden, wenn du dich an diesen erinnern würdest – laß mich sehen – irgendwo – irgendwo – ah!«
    Er zog eine Karte aus der Mitte des Kastens heraus wie ein Illusionist, der einen Trick vorführt, und legte sie triumphierend in Brians Hand.
    Es war eine Sandy Koufax.
    Es war eine ’56er Topps-Karte.
    Und sie war signiert.
    »Für meinen guten Freund Brian, mit den besten Wünschen, Sandy Koufax.«
    Und dann entdeckte er, daß er kein Wort herausbringen konnte.

6
     
    Er schaute zu Mr. Gaunt hoch. Sein Mund arbeitete. Mr. Gaunt lächelte. »Das habe ich weder arrangiert noch geplant, Brian. Es ist einfach ein Zufall – aber ein hübscher Zufall, findest du nicht?«
    Brian konnte noch immer nicht sprechen und begnügte sich deshalb mit einem Kopfnicken. Die Plastikhülle mit

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