In einer kleinen Stad
guten Manieren (die ihm, wie seine Mutter ihm oft und gern erklärte, fast vollständig abgingen). »Ich muß auch gehen. Bitte entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange aufgehalten habe...«
»Nein, nein! Du verstehst mich falsch!« Mr. Gaunt legte eine seiner langen Hände auf Brians Arm. Brian zog seinen Arm zurück. Er hoffte, diese Geste würde nicht unhöflich erscheinen, aber selbst wenn es so war, konnte er nichts dagegen tun. Mr. Gaunts Hand war hart und trocken und irgendwie unangenehm. Im Grunde fühlte sie sich kaum anders an als das versteinerte Holz, das angeblich von Noahs Arche stammte, oder wie immer das hieß. Aber Mr. Gaunt war zu sehr bei der Sache, um Brians instinktives Zurückweichen zur Kenntnis zu nehmen. Er verhielt sich so, als hätte er und nicht Brian gegen die guten Sitten verstoßen. »Ich fand nur, daß wir zum Geschäft kommen sollten. Es hat wirklich nicht viel Sinn, daß du dir die paar Dinge anschaust, die ich bis jetzt ausgepackt habe; es sind nicht viele, und von denen, die ausgepackt sind, hast du die interessantesten gesehen. Aber ich weiß ziemlich genau, was ich auf Lager habe, auch ohne ein Inventarverzeichnis, und vielleicht habe ich etwas, das du gern hättest, Brian. Was hättest du gern?«
»Himmel«, sagte Brian. Es gab tausend Dinge, die er gern hätte, und das war nur ein Teil des Problems; wenn die Frage so unverblümt gestellt wurde wie jetzt, vermochte er nicht zu sagen, welches von den tausend Dingen er am liebsten hätte.
»Es ist am besten, wenn man über dergleichen nicht zu eingehend nachdenkt«, sagte Mr. Gaunt. Er sprach ganz lässig, aber es war nichts Lässiges in seinen Augen, die Brians Gesicht eingehend musterten. »Wenn ich dich fragen würde: >Brian Rusk, was ist es, das du in diesem Augenblick lieber hättest als alles andere auf der Welt?<, was würdest du antworten? Schnell!«
»Sandy Koufax«, erwiderte Brian prompt. Er hatte nicht gewußt, daß seine Hand offen gewesen war, um den Splitter von Noahs Arche aufzunehmen, bis er gesehen hatte, daß er darauf lag, und er hatte nicht gewußt, was er auf Mr. Gaunts Frage antworten würde, bis er hörte, wie die Worte aus seinem Mund kamen. Aber in dem Augenblick, in dem er sie hörte, wußte er, daß es die richtigen Worte gewesen waren.
5
»Sandy Koufax«, sagte Mr. Gaunt nachdenklich. »Interessant.«
»Natürlich nicht Sandy Koufax selbst«, sagte Brian, »sondern seine Baseballkarte.«
»Topps oder Fleers?« fragte Mr. Gaunt.
Brian hatte nicht geglaubt, daß der Nachmittag noch besser werden könnte, aber plötzlich war er es geworden. Mr. Gaunt wußte über Baseballkarten nicht weniger gut Bescheid als über Splitter und Drusen. Es war erstaunlich, wirklich erstaunlich.
»Topps.«
»Ich vermute, es ist seine Neulingskarte, an der du interessiert bist«, sagte Mr. Gaunt bedauernd. »Ich glaube nicht, daß ich damit dienen kann, aber...«
»Nein«, sagte Brian. »Nicht die von 1954. Die von ’56. Die hätte ich gern. Ich habe eine Sammlung von 1956er Baseballkarten. Mein Dad hat mich darauf gebracht. Es macht wirklich Spaß, und es gibt nur wenige, die wirklich teuer sind – Al Kaline, Mel Parnell, Roy Campanella und solche Größen. Fünfzig Karten habe ich schon. Darunter die von Al Kaline. Hat achtunddreißig Dollar gekostet. Ich habe eine Menge Rasen gemäht, um Al zu bekommen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Mr. Gaunt mit einem Lächeln.
»Nun, wie gesagt, die meisten ’56er Karten sind nicht übermäßig teuer – sie kosten fünf Dollar, sieben, manchmal zehn. Aber ein Sandy Koufax in gutem Zustand kostet neunzig oder hundert Dollar. 1956 war er noch kein großer Star, das stellte sich erst später heraus, damals, als die Dodgers noch in Brooklyn waren. Damals nannte jedermann sie die Da Bums. Das jedenfalls hat mir mein Dad erzählt.«
»Dein Dad hat zweihundertprozentig recht«, sagte Mr. Gaunt. »Ich glaube, ich habe etwas, das dich sehr glücklich machen wird, Brian. Warte hier.«
Er verschwand wieder hinter dem Vorhang und ließ Brian vor der Vitrine mit dem Splitter, der Polaroidkamera und dem Foto von The King stehen. Brian tanzte vor Hoffnung und Vorfreude fast von einem Bein aufs andere. Er befahl sich selbst, nicht so ein Schwachkopf zu sein; selbst wenn Mr. Gaunt tatsächlich eine Sandy Koufax-Karte haben sollte, und selbst wenn es eine Topps-Karte aus den Fünfzigern war, dann würde sich wahrscheinlich herausstellen, daß es eine ’55er oder ’57er
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