In einer kleinen Stad
Rusk gesehen, wer den Schaden im Haus der Jerzycks angerichtet hatte, oder er hatte es selbst getan. Beides würde seinen Zustand erklären; aber wenn es das letztere war, dann konnte sich Alan das Ausmaß und das Gewicht der Schuldgefühle, unter denen der Junge jetzt leiden mußte, kaum vorstellen.
»Das war ein großartiger Trick, Sheriff Pangborn«, sagte Brian mit farbloser Stimme. »Wirklich.«
»Danke – ich freue mich, daß er dir gefallen hat. Du weißt, worüber ich mit dir reden möchte, Brian?«
»Ich – ich glaube, ja«, sagte Brian, und Alan war plötzlich sicher, daß der Junge gestehen würde, die Fenster eingeworfen zu haben. Genau hier an dieser Straßenecke würde er gestehen, und Alan würde der Aufklärung dessen, was zwischen Wilma und Nettie vorgefallen war, einen riesigen Schritt näher sein.
Aber Brian sagte nichts mehr. Er schaute nur mit seinen müden, leicht blutunterlaufenen Augen zu Alan auf.
»Was ist passiert, Junge?« fragte Alan ganz ruhig und gelassen.
»Was ist passiert, als du beim Haus der Jerzycks warst?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Brian. Seine Stimme war tonlos. »Aber ich habe letzte Nacht davon geträumt. Sonntagnacht auch. Ich habe davon geträumt, daß ich zu diesem Haus gehe, und in meinem Traum habe ich gesehen, wer all diesen Lärm macht.«
»Und wer ist das?«
»Ein Ungeheuer«, sagte Brian. Seine Stimme veränderte sich nicht, aber über den unteren Lidrändern beider Augen waren große Tränen erschienen. »In meinem Traum klopfe ich an die Tür, anstatt davonzufahren, wie ich es in Wirklichkeit getan habe, und die Tür geht auf, und da ist ein Ungeheuer, und es frißt – mich – auf.« Die Tränen flossen über und rollten langsam über Brian Rusks Wangen.
Ja, dachte Alan, auch das könnte es sein – simples Entsetzen. Die Art von Entsetzen, die ein Kind empfindet, wenn es im falschen Moment die Schlafzimmertür aufmacht und seine Eltern beim Liebesakt sieht. Nur weil es zu jung ist, um zu wissen, was sie da tun, denkt es, sie kämpften miteinander. Und wenn sie dabei eine Menge Geräusche von sich geben, denkt es vielleicht sogar, sie wollten sich gegenseitig umbringen.
Aber...
Aber es fühlte sich nicht richtig an. So einfach war das. Er hatte das unabweisbare Gefühl, daß dieser Junge das Blaue vom Himmel herunterlog, trotz des verstörten Ausdrucks in seinen Augen, des Ausdrucks, der besagte: Ich möchte Ihnen alles erzählen . Was bedeutete das? Alan war sich nicht sicher, aber die wahrscheinliche Antwort war, daß Brian gesehen hatte, wer die Steine geworfen hatte. Vielleicht war es jemand gewesen, den Brian schützen zu müssen glaubte. Oder vielleicht wußte der Steinwerfer, daß Brian ihn gesehen hatte, und Brian wußte das. Vielleicht hatte der Junge Angst vor Repressalien.
»Jemand hat einen Haufen Steine ins Haus der Jerzycks geworfen«, sagte Alan mit leiser und (wie er hoffte) beruhigender Stimme.
»Ja, Sir«, sagte Brian – fast seufzend. »Das könnte sein. Ich glaubte, sie stritten miteinander, aber es kann auch sein, daß jemand mit Steinen geworfen hat.«
»Du hast geglaubt, sie stritten miteinander?«
»Ja, Sir.«
Alan seufzte. »Nun, jetzt weißt du, was es war. Und du weißt auch, daß das etwas Schlimmes war. Steine durch jemandes Fenster zu werfen, ist ein ziemlich schweres Vergehen, auch wenn es keine Folgen hat.«
»Ja, Sir.«
Diese Augen, die aus diesem ruhigen, bleichen Gesicht zu ihm aufschauten. Alan begann zweierlei zu begreifen: der Junge wollte ihm erzählen, was passiert war. Aber er würde es höchstwahrscheinlich nicht tun.
»Du siehst sehr unglücklich aus, Brian.«
»Ja, Sir.«
»Ja, Sir – bedeutet das, daß du unglücklich bist? «
Brian nickte, und zwei weitere Tränen lösten sich aus seinen Augen und rollten ihm über die Wangen. Alan verspürte zwei starke, widersprüchliche Gefühle: tiefes Mitleid und heftige Erbitterung.
»Weshalb bist du unglücklich, Brian? Erzähle es mir.«
»Früher hatte ich einen wirklich schönen Traum«, sagte er mit einer Stimme, die so leise war, daß Alan sie kaum hören konnte. »Er war albern, aber trotzdem schön. Über Miss Ratcliffe, meine Sprechlehrerin. Jetzt weiß ich, daß das albern war. Früher habe ich es nicht gewußt, und das war besser. Und wissen Sie was? Jetzt weiß ich noch mehr als nur das.«
Die dunklen, entsetzlich unglücklichen Augen richteten sich wieder auf Alan.
»Der Traum, den ich habe – der über das Ungeheuer, das die
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