In einer kleinen Stad
Abzeichen, das er auf der linken Seite seiner Uniformjacke trug. »Ich glaube, ich werde dafür bezahlt, daß ich manchmal dafür sorgen kann, daß die Leute ihre Angst loswerden.«
»Ich...« setzte Brian an, und dann erwachte das Sprechfunkgerät, das Alan vor drei oder vier Jahren unter dem Armaturenbrett des Town and Country-Kombis hatte einbauen lassen, zum Leben.
»Wagen Eins, Wagen Eins, hier Zentrale. Können Sie mich hören? Over.«
Brians Augen lösten sich von denen Alans. Sie richteten sich auf den Kombi und den Klang von Sheila Brighams Stimme – der Stimme der Autorität, der Stimme der Polizei. Und in diesem Moment begriff Alan: wenn der Junge nahe daran gewesen war, ihm etwas zu erzählen (und vielleicht war die Überzeugung, daß er es tun würde, nur Wunschdenken gewesen), würde er es jetzt bestimmt nicht mehr tun. Sein Gesicht war verschlossen wie eine Muschelschale.
»Du fährst jetzt nach Hause, Brian. Aber wir reden noch über – über diesen Traum, den du immer hast. Okay?«
»Ja, Sir«, sagte Brian. »Ich denke schon.«
»Inzwischen denkst du über das nach, was ich eben gesagt habe: der größte Teil der Arbeit eines Sheriffs besteht darin, dafür zu sorgen, daß die Leute ihre Angst loswerden.«
»Ich muß jetzt nach Hause, Sheriff. Wenn ich nicht bald heimkomme, wird meine Mom sauer.«
Alan nickte. »Nun, wir wollen nicht, daß das passiert. Fahr los, Brian.«
Er sah dem Jungen nach. Brians Kopf war gesenkt, und abermals schien er sich mit dem Fahrrad zwischen den Beinen dahinzuschleppen. Irgend etwas stimmte nicht, war so falsch, daß Alans Absicht, herauszufinden, was mit Wilma und Nettie passiert war, hinter dem Wunsch zurücktrat, herauszufinden, was diesen erschöpften, gequälten Ausdruck in Brians Gesicht verursacht hatte.
Die Frauen waren schließlich tot und begraben. Brian Rusk war noch am Leben.
Er ging zu dem alten Kombi, den er schon vor einem Jahr hätte verkaufen sollen, ergriff das Mikrofon und drückte auf den Sendeknopf. »Ja, Sheila, hier Wagen Eins. Habe verstanden – bitte kommen.«
»Henry Payton möchte Sie sprechen, Alan«, sagte Sheila. »Ich soll Ihnen sagen, daß es dringend ist. Er möchte, daß ich Sie zu ihm durchstelle. Ten-four?«
»Tun Sie das«, sagte Alan. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.
»Es kann ein paar Minuten dauern, ten-four?«
»In Ordnung. Ich warte hier. Wagen Eins sprechbereit.«
Er lehnte sich in dem lichtgesprenkelten Schatten mit dem Mikrofon in der Hand gegen die Flanke seines Wagens und wartete darauf, zu erfahren, was für Henry Payton dringend war.
13
Als Polly zu Hause ankam, war es zwanzig Minuten nach drei, und sie fühlte sich zwischen zwei Empfindungen hinund hergezerrt. Einerseits empfand sie den tiefen, bohrenden Drang, den Auftrag auszuführen, den Mr. Gaunt ihr erteilt hatte (es widerstrebte ihr, daran unter der Bezeichnung zu denken, die Mr. Gaunt gebraucht hatte, einen Streich – Polly Chalmers war nicht der Mensch, der anderen Streiche spielte), es hinter sich zu bringen, damit das azka endgültig ihr gehörte. Der Gedanke, daß der Handel abgeschlossen war, wenn Mr. Gaunt sagte, daß der Handel abgeschlossen war, kam ihr überhaupt nicht.
Anderseits empfand sie den ebenso tiefen, ebenso bohrenden Drang, sich mit Alan zu verständigen, ihm zu sagen, was passiert war – oder zumindest einen Teil davon, an den sie sich erinnern konnte. Etwas, woran sie sich erinnern konnte – es erfüllte sie mit Scham und unterschwelligem Entsetzen, aber sie konnte sich trotzdem daran erinnern – war, daß Mr. Leland Gaunt den Mann haßte, den Polly liebte, und daß Mr. Gaunt etwas tat – irgend etwas -, das sehr unrecht war. Alan mußte es erfahren. Selbst wenn das azka aufhörte, seine Wirkung zu tun, mußte er es erfahren.
Das kann doch nicht dein Ernst sein.
Doch – einem Teil von ihr war es durchaus ernst damit. Dieser Teil war entsetzt über Leland Gaunt, obwohl sie sich nicht genau erinnern konnte, was er getan hatte, um dieses Entsetzen auszulösen.
Willst du, daß es wieder so wird wie früher, Polly? Willst du wieder Hände haben, die sich anfühlen, als wären sie mit Schrapnell gefüllt?
Nein. Aber sie wollte auch nicht, daß Alan etwas zustieß. Und sie wollte auch nicht, daß Mr. Gaunt tat, was immer er vorhatte, wenn das (wie sie vermutete) etwas war, das der Stadt schaden würde. Und sie wollte auch nicht an diesem Etwas beteiligt sein, indem sie zu dem verlassenen Camber-Anwesen
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