In einer kleinen Stad
am Ende der Town Road Nr. 3 hinausfuhr und dort einen Streich verübte, den sie nicht einmal verstand.
Diese widerstreitenden Gefühle, von denen jedes von seiner eigenen, mahnenden Stimme vertreten wurde, zerrten an ihr, als sie langsam heimwärts wanderte. Wenn Mr. Gaunt sie auf irgendeine Art hypnotisiert hatte (sie war davon überzeugt gewesen, als sie den Laden verließ, aber die Gewißheit wurde im Laufe der Zeit immer schwächer), dann war die Wirkung jetzt verflogen. (Davon war Polly wirklich überzeugt.) Und sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so unfähig gefühlt, über das zu entscheiden, was sie als nächstes tun sollte, wie jetzt. Es war, als wäre ihr gesamter Vorrat an einer für das Treffen von Entscheidungen wichtigen Chemikalie aus ihrem Gehirn gestohlen worden.
Schließlich ging sie nach Hause, um zu tun, wozu Mr. Gaunt ihr geraten hatte (obwohl sie sich nicht mehr genau an den Rat erinnern konnte). Sie würde ihre Post durchsehen, und dann würde sie Alan anrufen und ihm sagen, was Mr. Gaunt von ihr verlangte.
Wenn du das tust, erklärte die innere Stimme bitter, dann wird das azka aufhören, seine Wirkung zu tun. Und das weißt du.
Ja – aber da war immer noch das Problem von Gut und Böse. Das war nach wie vor da. Sie würde Alan anrufen, sich entschuldigen, daß sie so wütend auf ihn gewesen war, und ihm dann erzählen, was Mr. Gaunt von ihr verlangte. Vielleicht würde sie ihm sogar den Umschlag aushändigen, den Mr. Gaunt ihr gegeben hatte und den sie in die Blechdose stecken sollte.
Vielleicht.
Polly fühlte sich ein wenig wohler, als sie den Schlüssel ins Schloß ihrer Haustür steckte – wieder glücklich darüber, daß sie es so mühelos schaffte, fast ohne sich dessen bewußt zu sein. Die Post lag auf ihrem üblichen Platz auf dem Teppich – es war nicht sonderlich viel heute. Nach einem Tag, an dem keine Post ausgetragen worden war, lag gewöhnlich viel mehr Reklame da. Sie bückte sich und hob sie auf. Eine Broschüre, Werbung für Kabelfernsehen mit dem lächelnden, unwahrscheinlich gutaussehenden Gesicht von Tom Cruise auf dem Umschlag; ein Katalog von der Horchow Collection und ein weiterer von The Sharper Image. Außerdem...
Polly sah den einzigen Brief, und in ihrem Magen klumpte sich ein Ball aus Angst zusammen. An Patricia Chalmers in Castle Rock, vom San Francisco Department of Child Welfare... 666 Geary Street. Sie erinnerte sich nur zu gut an 666 Geary Street. Dreimal war sie dort gewesen. Hatte mit drei Bürokraten von der für die Unterstützung unmündiger Kinder zuständigen Abteilung gesprochen, von denen zwei Männer gewesen waren – Männer, die sie angeschaut hatten wie ein Stück Bonbonpapier, das an einem ihrer besten Schuhe klebengeblieben ist. Der dritte Bürokrat war eine überaus massige schwarze Frau gewesen, eine Frau, die gewußt hatte, wie man zuhört und wie man lacht, und von dieser Frau hatte Polly schließlich die Bewilligung erhalten. Aber sie erinnerte sich daran, wie das Licht von dem großen Fenster am Ende des Flurs in Form eines langen, milchigen Streifens auf das Linoleum gefallen war; sie erinnerte sich an das hallende Klappern von Schreibmaschinen aus Büros, deren Türen immer offenstanden; sie erinnerte sich an die Grüppchen von Männern, die am hinteren Ende des Flurs bei dem mit Sand gefüllten Ascher gestanden und Zigaretten geraucht hatten, und an ihre Art, sie anzuschauen. Vor allem erinnerte sie sich daran, wie es sich angefühlt hatte, ihre einzigen guten Sachen zu tragen – einen dunklen Hosenanzug aus Polyester, eine weiße Seidenbluse, eine L’Eggs Nearly Nude-Strumpfhose, Schuhe mit flachen Absätzen -, und wie verängstigt und einsam sie sich gefühlt hatte, weil ihr der düstere Flur im ersten Stock von 666 Geary Street vorgekommen war wie ein Ort ohne Herz und Seele. Hier war ihr schließlich die beantragte Unterstützung für unmündige Kinder bewilligt worden, aber es waren natürlich die Ablehnungen, an die sie sich erinnerte – die Augen der Männer, wie sie über ihre Brüste gekrochen waren (sie waren besser angezogen als Norville drunten im Schnellimbiß, aber sonst hatte kein großer Unterschied bestanden); die Münder der Männer, wie sie sich in vornehmer Mißbilligung geschürzt hatten, während sie das Problem Kelton Chalmers erwogen, des unehelichen Kindes dieser kleinen Schlampe, die jetzt nicht wie ein Hippie aussah, oh nein , die aber, sobald sie hier heraus war, ganz bestimmt ihre Seidenbluse
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