In einer kleinen Stad
lag dort, seit dieser Blödmann Ace Merrill vor etlichen Jahren versucht hatte, ihn auszurauben. Es war eine streng verbotene Waffe, und Henry hatte sie nie benutzt.
Er glaubte, daß er sie heute vielleicht benutzen würde.
Er dachte an den häßlichen Kratzer, den Hugh in die Seite seines Thunderbirds gemacht hatte; dann knüllte er den Zettel zusammen und ließ ihn fallen. Billy Tupper würde inzwischen im Tiger sein, den Fußboden fegen und Gläser spülen. Henry würde die Abgesägte holen und sich Billys Pontiac ausleihen. Wie es schien, mußte er heute auf Arschlochjagd gehen.
Henry beförderte den zusammengeknüllten Zettel mit einem Fußtritt ins Gras. »Du hast wieder dieses Blödmacherzeug geschluckt, Hugh, aber in Zukunft wirst du das nicht mehr tun, das garantiere ich dir.« Er berührte zum letzten Mal den Kratzer. Noch nie in seinem ganzen Leben war er so wütend gewesen. »Darauf kannst du Gift nehmen.«
Henry machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zum Mellow Tiger.
2
Frank Jewett fand, als er George T. Nelsons Schlafzimmer auseinandernahm, unter der Matratze des Doppelbettes eine halbe Unze Koks. Er schüttete das Zeug in die Toilette und spülte, und während er zuschaute, wie es davongewirbelt wurde, spürte er einen plötzlichen Krampf in den Eingeweiden. Er begann, den Gürtel seiner Hose zu öffnen; doch dann kehrte er in das verwüstete Schlafzimmer zurück. Frank vermutete, daß er völlig verrückt geworden war, aber das störte ihn nicht sonderlich. Verrückte Leute brauchten nicht über die Zukunft nachzudenken. Für verrückte Leute spielte die Zukunft nur eine untergeordnete Rolle.
Eines der wenigen unbeschädigten Dinge in George T. Nelsons Schlafzimmer war ein Foto an der Wand. Es war das Foto einer alten Dame. Es steckte in einem teuren Goldrahmen, und das ließ Frank vermuten, daß es sich um ein Foto von George T. Nelsons seliger Mutter handelte. Der Krampf kam wieder. Frank nahm das Foto von der Wand und legte es auf den Boden. Dann schnallte er den Hosengürtel auf, hockte sich genau darüber und tat, was die Natur von ihm verlangte.
Es war der Höhepunkt dessen, was bis dahin ein sehr schlimmer Tag gewesen war.
3
Lenny Partridge, Castle Rocks ältester Einwohner und Träger des Spazierstockes der Boston Post, den einstmals Tante Evvie Chalmers besessen hatte, fuhr auch Castle Rocks ältestes Auto. Es war ein Chevrolet Bel Air von 1966, der einst weiß gewesen war. Jetzt hatte er eine schmutzige Unfarbe – man könnte sie vielleicht Feldweggrau nennen. Er befand sich in keinem sonderlich guten Zustand. Die Heckscheibe war vor etlichen Jahren durch ein flappendes Stück Allwetterplastik ersetzt worden, die Bodenbleche waren so zerlöchert, daß Lenny beim Fahren durch ein vielfältiges Rostmuster hindurch die Straße betrachten konnte, und das Auspuffrohr hing herunter wie der verrottete Arm eines Mannes, der in einem trockenen Klima gestorben ist. Außerdem waren keine Kolbenringe mehr vorhanden. Wenn Lenny den Bel Air fuhr, verbreitete er hinter sich große Wolken aus stinkendem, blauem Qualm, und die Felder, die er auf seiner täglichen Fahrt in die Stadt passierte, sahen aus, als hätte ein mordlüsterner Flieger sie mit Paraquat bestäubt. Der Chevy verschlang drei (manchmal sogar vier) Liter Öl am Tag. Dieser muntere Verbrauch störte Lenny nicht im mindesten; er kaufte wiederaufbereitetes Diamond-Motoröl von Sonny Jackett in Zwanzig-Liter-Kanistern, und er paßte immer genau auf, daß Sonny zehn Prozent vom Preis nachließ – seinen Rentnerrabatt. Und da er in den letzten zehn Jahren den Bel Air nie mit einer Geschwindigkeit von mehr als fünfzig Stundenkilometern gefahren hatte, würde er wahrscheinlich länger zusammenhalten als Lenny selbst.
Während sich Henry Beaufort auf der anderen Seite der Tin Bridge auf den Weg zum Mellow Tiger machte, lenkte, fast zehn Kilometer entfernt, Lenny seinen rostigen Bel Air über die Kuppe von Castle Hill.
Mitten auf der Straße stand ein Mann, der in einer gebieterischen Stopp-Geste die Arme hochgereckt hatte. Der Mann hatte eine nackte Brust und nackte Füße. Er trug nur eine khakifarbene Hose mit offenstehendem Schlitz und um den Hals einen mottenzerfressenen Streifen Fell.
Lennys Herz tat einen großen, keuchenden Satz in seiner mageren Brust, und er trat mit beiden Füßen, die in einem Paar sich langsam auflösender Stiefel steckten, auf die Bremse. Sie ging mit einem schauerlichen Stöhnen bis fast
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