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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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voran entgegenstreckte. »Beinahe hätte ich Sheila erschossen – oh, Jesus Christus.«
    Sie rannte gegen ihn, ohne langsamer zu werden, und hätte ihn fast umgeworfen. Er steckte seinen Revolver ein, dann legte er die Arme um sie. Sie zitterte wie ein Kabel, durch das zuviel Strom hindurchgeht. Alan vermutete, daß er selbst ganz schön zitterte, und es hatte nicht viel gefehlt, daß er sich in die Hose gemacht hätte. Sie war hysterisch, blind vor Panik, und das war vermutlich ein Segen; er glaubte nicht, daß sie auch nur die geringste Ahnung hatte, wie nahe sie dem Tode gewesen war.
    »Was ist da drinnen passiert, Sheila?« fragte er. »Schnell, erzählen Sie.« Seine Ohren dröhnten so heftig von dem Schuß und dem anschließenden Echo; aber er hätte fast schwören mögen, daß irgendwo ein Telefon läutete.

22
     
    Henry Beaufort fühlte sich wie ein Schneemann, der in der Sonne schmilzt. Seine Beine gaben unter ihm nach. Er sackte langsam auf die Knie, den Hörer des unbeantworteten Telefons nach wie vor am Ohr. Ihm war schwindlig von der Geruchsmischung aus Alkohol und brennendem Fell. Jetzt war noch ein weiterer, heißer Gestank hinzugekommen. Er vermutete, daß er von Hugh Priest kam.
    Er war sich vage bewußt, daß dies nicht funktionierte und daß er eine andere Nummer anrufen mußte, wenn er Hilfe herbeiholen wollte, aber er glaubte nicht, daß er es schaffen würde. Er war nicht mehr imstande, eine andere Nummer zu wählen – so lagen die Dinge. Also kniete er in einer größer werdenden Pfütze seines eigenen Blutes hinter der Theke, lauschte dem Schornsteinheulen der Luft aus dem Loch in seiner Brust, klammerte sich verzweifelt ans Bewußtsein. Der Tiger öffnete erst in einer Stunde, Billy war tot, und wenn sich nicht bald jemand an diesem Telefon meldete, dann würde er gleichfalls tot sein, wenn die ersten Gäste erschienen, um sich zum Feierabend einen Drink zu genehmigen.
    »Bitte«, flüsterte Henry mit gequälter, atemloser Stimme. »Bitte, meldet euch doch. Kann sich denn nicht irgend jemand melden?«

23
     
    Sheila Brigham gewann allmählich ihre Fassung zurück, und Alan holte gleich das Wichtigste aus ihr heraus: sie hatte Hugh Priest mit dem Schaft der Schrotflinte den Garaus gemacht. Niemand würde versuchen, sie zu erschießen, wenn sie durch die Tür hineingingen.
    Das hoffte er jedenfalls.
    »Kommen Sie«, sagte er zu Norris. »Gehen wir.«
    »Alan – als sie herauskam – ich dachte...«
    »Ich weiß, was Sie dachten, aber es ist nichts passiert. Vergessen Sie es, Norris. John ist drinnen. Kommen Sie.«
    Sie gingen zur Tür und stellten sich beiderseits davon auf. Alan sah Norris an.
    »Ducken Sie sich«, sagte er.
    Norris nickte.
    Alan ergriff den Türknauf, riß die Tür auf und stürmte hinein, gleichzeitig mit dem geduckten Norris.
    John hatte es geschafft, wieder auf die Füße zu kommen und den größten Teil des Weges bis zur Tür zu taumeln. Alan und Norris prallten gegen ihn wie die Angriffsspieler der alten Pittsburgh Steelers, und John mußte eine letzte schmerzliche Verletzung seiner Würde hinnehmen: er wurde von seinen eigenen Kollegen überrannt und schlitterte über den gefliesten Boden wie eine Wurfscheibe beim Eisschießen. Er prallte gegen die gegenüberliegende Wand und stieß einen Schmerzensschrei aus, der gleichzeitig verblüfft und irgendwie verdrossen klang.
    »Jesus, das ist John!« rief Norris. »Was für ein Chaos!«
    »Helfen Sie mir«, sagte Alan.
    Sie eilten durch den Dienstraum zu John, der sich aus eigenen Kräften langsam aufsetzte. Sein Gesicht war eine blutige Maske. Die Nase war stark nach links gekrümmt, die Oberlippe angeschwollen wie ein aufgeblasener Schlauch. Als Alan und Norris ihn erreichten, hielt er eine Hand unter den Mund und spie einen Zahn hinein.
    »Er isch verrückt«, sagte John mit einer breügen, benommenen Stimme. »Sheila hat mit der Flinte schugeschlagen. Ich glaube, schie hat ihn umgebracht.«
    »John, sind Sie in Ordnung?« fragte Norris.
    »Bin völlig kaputt«, sagte John. Er beugte sich vor und erbrach sich ausgiebig zwischen seine ausgestreckten Beine, um es zu beweisen.
    Alan schaute sich um. Er war sich vage bewußt, daß es nicht nur an seinen Ohren lag; tatsächlich läutete das Telefon. Aber das Telefon war jetzt nicht wichtig. Er sah Hugh mit dem Gesicht nach unten in der Nähe der hinteren Wand liegen und ging hinüber. Er hielt ein Ohr gegen das Rückenteil von Hughs T-Shirt, lauschte auf einen Herzschlag.

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