In einer kleinen Stad
»Okay. Das ist okay. Kein Problem. Kein – Scheiß – Problem.«
Er stand auf und kehrte mit einer steifen, torkelnden Abart seines normalen Ganoven-Schlenderns zu seinem Wagen zurück.
Bevor er dort angekommen war, rannte er beinahe.
DRITTER TEIL
TOTAL-AUSVERKAUF
Neunzehntes Kapitel
1
Um Viertel vor sechs hatte ein gespenstisches Zwielicht begonnen, sich über Castle Rock auszubreiten; am südlichen Horizont türmten sich Gewitterwolken auf, und leiser, ferner Donner grollte über Wälder und Felder. Die Wolken bewegten sich auf die Stadt zu und wurden dabei immer größer. Die Straßenbeleuchtung, von einer Fotozelle gesteuert, schaltete sich eine halbe Stunde früher ein als sonst um diese Jahreszeit.
Auf der Lower Main Street herrschte ein völliges Durcheinander; sie wimmelte von Fahrzeugen der Staatspolizei und Übertragungswagen des Fernsehens. Funkgeräte knisterten und überlagerten sich in der heißen, unbewegten Luft. Fernsehleute legten Kabel aus und schrien die Leute – überwiegend Jugendliche – an, die über die losen Kabel stolperten, bevor sie sie mit Klebeband auf dem Gehsteig verankern konnten. Außerhalb der Absperrung vor dem Gebäude der Stadtverwaltung standen Fotografen von vier Tageszeitungen und machten Aufnahmen, die am folgenden Tag auf den Titelseiten erscheinen würden. Ein paar Einheimische – erstaunlich wenige, wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, sie zu zählen – verfolgten interessiert das Geschehen. Ein Fernsehkorrespondent stand im Gleißen einer Hochleistungslampe und zeichnete seinen Bericht auf. »Eine sinnlose Welle von Gewalt schwirrte heute nachmittag durch Castle Rock«, begann er, dann brach er ab. »Schwirrte?« fragte er sich selbst angewidert. »Scheiße, fangen wir noch mal von vorn an.« Links von ihm beobachtete ein Typ von einem anderen Sender sein Team bei den Vorbereitungen für etwas, das in knapp zwanzig Minuten live gesendet werden sollte. Die meisten Zuschauer waren eher von den vertrauten Gesichtern der Fernsehkorrespondenten angelockt worden als von der Absperrung, wo es nichts mehr zu sehen gab, seit zwei Ambulanzfahrer den unglücklichen Lester Pratt in einem schwarzen Plastiksack herausgetragen und in ihren Wagen geladen hatten.
Die Upper Main Street, ein gutes Stück entfernt von den Blaulichtern der Streifenwagen der Staatspolizei und den grellen Lichtkreisen der Fernsehscheinwerfer, war fast völlig verlassen.
Fast.
Hin und wieder steuerte ein Personenwagen oder ein Pickup-Laster eine der schrägen Parkbuchten vor Needful Things an. Hin und wieder schlenderte ein Fußgänger zu dem neuen Laden hin, in dem kein Licht brannte und an der Tür unter der Markise die Jalousie heruntergezogen war. Hin und wieder löste sich einer der Neugierigen auf der Lower Main Street aus der Gruppe der Zuschauer und wanderte die Straße hinauf, vorbei an der leeren Stelle, an der einst das Emporium Galorium gestanden hatte, vorbei an You Sew and Sew, geschlossen und dunkel, bis zu dem neuen Laden.
Niemand nahm dieses Rinnsal von Besuchern zur Kenntnis – nicht die Polizei, nicht die Kameraleute, nicht die Fernsehkorrespondenten, nicht die Mehrheit der Zuschauer. Ihre Aufmerksamkeit galt dem SCHAUPLATZ DES VERBRE-CHENS, und sie wendeten dem knapp dreihundert Meter entfernten Ort den Rücken zu, an dem das Verbrechen nach wie vor stattfand.
Wenn ein interessierter Beobachter Needful Things im Auge behalten hätte, dann hätte er schnell ein Muster entdeckt. Die Besucher näherten sich. Die Besucher sahen das Schild am Fenster, auf dem stand
BIS AUF WEITERES GESCHLOSSEN
Die Besucher traten zurück, alle mit dem gleichen Ausdruck von Verzweiflung und Enttäuschung im Gesicht – sie sahen aus wie Junkies, die gerade entdeckt haben, daß ihr Dealer nicht da war, wo zu sein er versprochen hatte. Was machen wir jetzt? sagten ihre Gesichter. Die meisten traten vor, um noch einmal zu lesen, was auf dem Schild stand, als würde sich bei genauerem Hinsehen die Aufschrift ändern.
Ein paar stiegen in ihre Wagen und fuhren davon. Andere wanderten wieder hinunter zum Gebäude der Stadtverwaltung, um noch eine Weile dem Spektakel zuzuschauen, wobei sie einen benommenen und vage enttäuschten Eindruck machten. Auf den Gesichtern der meisten dämmerte jedoch ein Ausdruck plötzlichen Begreifens. Sie sahen aus wie Leute, die plötzlich ein grundlegendes Konzept verstanden hatten, zum Beispiel, wie man einfache Sätze schematisch darstellt
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