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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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oder bei mehreren Brüchen den kleinsten gemeinsamen Nenner findet.
    Diese Leute wanderten um die Ecke herum in die Lieferantengasse, die hinter den Geschäftshäusern der Main Street verlief – die Gasse, in die Ace am Abend zuvor den Tucker Talisman gefahren hatte.
    Zwölf Meter von der Ecke entfernt fiel aus einer offenen Tür ein Rechteck aus gelbem Licht über den ausgeflickten Beton. Dieses Licht wurde langsam heller, je mehr der Tag in den Abend überging. In der Mitte des Rechtecks breitete sich ein Schatten wie eine aus Trauerkrepp zugeschnittene Silhouette. Der Schatten von Leland Gaunt.
    Er hatte einen Tisch in die Türöffnung gestellt. Auf ihm stand eine Roi-Tan-Zigarrenkisten. Er legte das Geld, das seine Kunden bezahlten, in diese Kiste und gab aus ihr das Wechselgeld heraus. Die Kunden näherten sich zögernd, in manchen Fällen sogar ängstlich, aber alle hatten eines gemeinsam: es waren wütende Leute, die einen heftigen Groll mit sich schleppten. Einige – nicht viele – machten kehrt, bevor sie Mr. Gaunts improvisierten Warentisch erreicht hatten. Einige rannten davon, mit den weit aufgerissenen Augen von Männern und Frauen, die einen gräßlichen Unhold gesehen haben, der sich im Schatten die Lippen leckt. Die meisten jedoch blieben, um ein Geschäft zu machen. Und während Mr. Gaunt mit ihnen plauderte, dieses ungewöhnliche Hintertür-Geschäft als amüsante Abwechslung am Ende eines langen Tages hinstellte, entspannten sie sich.
    Mr. Gaunt hatte sein Laden Spaß gemacht, aber er hatte sich hinter Schaufensterglas und unter einem Dach nie so am rechten Ort gefühlt wie hier, in der frischen Luft, wo die ersten leichten Böen des herannahenden Gewitters sein Haar flattern ließen. Der Laden mit seinen effektvoll auf Lichtschienen montierten Punktstrahlern war okay – aber dies war besser. Dies war immer besser.
    Er hatte vor vielen Jahren mit dem Geschäftemachen angefangen – als wandernder Hausierer auf dem blinden Antlitz eines fernen Landes, ein Hausierer, der seine Ware auf dem Rücken bei sich trug, ein Hausierer, der bei Einbruch der Dunkelheit kam, am nächsten Morgen wieder verschwunden war und Blutvergießen, Grauen und Unglück hinter sich zurückließ. Jahre später, in Europa, als die Pest wütete und die Leichenkarren rollten, war er in einem Wagen von Stadt zu Stadt und von Land zu Land gereist, der von einem klapperdürren weißen Pferd gezogen wurde, einem Pferd mit entsetzlich brennenden Augen und einer Zunge, so schwarz wie das Herz eines Mörders. Er hatte seine Ware von der Hinterkante des Wagens aus verkauft – und war verschwunden, bevor seine Kunden, die mit kleinen, abgegriffenen Münzen oder in Naturalien bezahlten, feststellen konnten, was sie in Wirklichkeit gekauft hatten.
    Die Zeiten änderten sich, ebenso die Methoden; auch die Gesichter. Aber wenn die Gesichter ein Bedürfnis hatten, dann waren es immer die gleichen, die Gesichter von Schafen, die ihren Hirten verloren haben, und es war diese Art des Geschäftemachens, die ihm am meisten lag, bei der er sich vorkam wie der wandernde Hausierer von einst, nicht hinter einem eleganten Tresen mit einer Sweda-Registrierkasse, sondern hinter einem schlichten Holztisch, wo er das Wechselgeld aus einer Zigarrenkiste herausgab und ihnen immer wieder denselben Gegenstand verkaufte.
    Die Waren, die auf die Einwohner von Castle Rock einen solchen Reiz ausgeübt hatten – die schwarzen Perlen, die heiligen Reliquien, das Buntglas, die Pfeifen, die alten Comic-Hefte, die Baseballkarten, die antiken Kaleidoskope – waren alle verschwunden. Mr. Gaunt war zu seinem wahren Geschäft übergegangen, und wenn die Sache zu Ende ging, war das wahre Geschäft immer dasselbe. Der Gegenstand, mit dem er handelte, hatte sich im Laufe der Jahre geändert, genau wie alles andere, aber derartige Veränderungen waren oberflächlich, sie waren Guß mit unterschiedlichem Aroma auf dem gleichen dunklen, bitteren Kuchen.
    Letztendlich bot Mr. Gaunt ihnen immer Waffen an – und sie kauften immer.
    »Vielen Dank, Mr. Wartburton!« sagte Mr. Gaunt und nahm von dem Hausmeister eine Fünf-Dollar-Note in Empfang. Er gab ihm einen Dollar zurück und eine der automatischen Pistolen, die Ace aus Boston mitgebracht hatte.
    »Danke, Miss Milliken!« Er nahm zehn und gab acht heraus.
    Er berechnete ihnen, was sie sich leisten konnten – keinen Penny mehr und keinen Penny weniger. Jeder zahlte nach seinen Möglichkeiten, das war Mr. Gaunts Motto, und

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