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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Personen und ihre Probleme sofort wieder, weil sie sich im Grunde nicht verändern. Wenn man sich eine solche Serie dann wieder ansieht, hat man das Gefühl, in ein Paar bequeme alte Schuhe zu schlüpfen.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Daß es hier eine Menge Fernsehserien-Geschichten gibt, die dir entgangen sind. Wußtest du, daß der Onkel von Danforth Keeton um die gleiche Zeit in Juniper Hill war wie Nettie?«
    »Nein.«
    Sie nickte. »Als er ungefähr vierzig war, tauchten geistige Probleme auf. Meine Mutter pflegte zu sagen, Bill Keeton wäre schizophren. Ich weiß nicht, ob das die richtige Bezeichnung war oder nur das Wort, das Mom am häufigsten im Fernsehen gehört hatte, aber etwas war eindeutig mit ihm nicht in Ordnung. Ich erinnere mich, daß er Leute auf der Straße anhielt und versuchte, ihnen Vorträge zu halten – über die Verschuldung des Staates, und daß John Kennedy Kommunist wäre – ach, ich weiß nicht, was sonst noch alles. Ich war damals noch ein kleines Mädchen, aber es hat mir Angst gemacht, Alan – das habe ich gewußt.«
    »Das kann ich verstehen.«
    »Manchmal wanderte er auch mit gesenktem Kopf die Straße entlang und führte Selbstgespräche, laut vor sich hinmurmelnd. Meine Mutter sagte mir, ich dürfte ihn nie ansprechen, wenn er sich in diesem Zustand befand, nicht einmal, wenn wir auf dem Weg in die Kirche waren und er auch. Schließlich hat er versucht, seine Frau zu erschießen. Das wenigstens erzählte man sich, aber du weißt, wie der Klatsch im Laufe der Zeit die Dinge verzerrt. Vielleicht hat er auch nur seine Dienstpistole vor ihr geschwenkt. Doch was er auch getan haben mag, es reichte aus, um ihn ins Gefängnis zu stecken. Es gab eine Art Verhandlung über seine Zurechnungsfähigkeit, und als die vorüber war, schafften sie ihn nach Juniper Hill.«
    »Ist er noch dort?«
    »Er ist tot. Nachdem er einmal eingeliefert worden war, verschlechterte sich sein Geisteszustand sehr schnell. Er starb im Koma. Das jedenfalls habe ich gehört.«
    »Großer Gott!«
    »Aber das ist noch nicht alles. Ronnie Keeton, Danforth’ Vater und Bill Keetons Bruder, verbrachte Mitte der Siebziger vier Jahre in der psychiatrischen Abteilung des VA-Krankenhauses in Togus. Jetzt ist er in einem Pflegeheim. Alzheimersche Krankheit. Und dann war da noch eine Großtante oder Cousine, die nach einem Skandal in den Fünfzigern Selbstmord beging. Worin dieser Skandal bestand, weiß ich nicht genau, aber ich habe gehört, daß ihr Frauen wesentlich besser gefielen als Männer.«
    »Es liegt in der Familie – ist es das, was du damit sagen willst?«
    »Nein«, sagte sie. »Es steckt keine moralische Wertung dahinter, kein Leitmotiv. Ich weiß ein paar Dinge aus der Geschichte der Stadt, die du nicht weißt – Dinge, die bei den Reden zum vierten Juli nicht zur Sprache kommen. Ich gebe sie an dich weiter. Daraus Schlüsse zu ziehen, ist Sache der Polizei.«
    Ihre letzten Worte klangen so förmlich, daß Alan leise lachen mußte. Dennoch war ihm unbehaglich zumute. Waren geistige Störungen erblich? Im Psychologie-Unterricht in der High School hatte man ihm beigebracht, diese Idee wäre ein Ammenmärchen. Jahre später, an der Polizeiakademie in Albany, hatte ein Instrukteur gesagt, es stimmte oder könnte zumindest in manchen Fällen zutreffen; manche Geisteskrankheiten ließen sich im Stammbaum einer Familie so deutlich zurückverfolgen wie blaue Augen oder überzählige Finger. Eines der Beispiele, das er angeführt hatte, war Alkoholismus gewesen. Hatte er auch etwas über Schizophrenie gesagt? Alan konnte sich nicht erinnern. Seine Zeit an der Akademie lag viele Jahre zurück.
    »Ich glaube, ich sollte mich, was Buster betrifft, ein wenig umhören«, erklärte Alan. »Der Gedanke, daß sich der Vorsitzende des Stadtrats von Castle Rock in eine menschliche Zeitbombe verwandeln könnte, ist nicht gerade beruhigend.«
    »Natürlich nicht. Und wahrscheinlich wird das auch nicht passieren. Ich dachte nur, du solltest es wissen. Die Leute hier beantworten Fragen – sofern du weißt, welche Fragen du stellen mußt. Wenn du es nicht weißt, schauen sie vergnügt zu, wie du im Kreis herumwanderst, und sagen kein einziges Wort.«
    Alan grinste. Es war die Wahrheit. »Aber du hast noch nicht alles gehört, Polly – nachdem Buster gegangen war, hatte ich Besuch von Reverend Willie. Er...«
    »Psst!« sagte Polly so heftig, daß Alan erschrocken verstummte. Sie sah sich um, kam offenbar zu dem

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