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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ist nur so, daß ich, wenn ich kann, gern herausfinde, wie die Leute wirklich sind.«
    »Und was sie wirklich wollen?«
    »Das ist entschieden zu schwierig«, sagte er lachend. »Ich begnüge mich damit, wissen zu wollen, was sie vorhaben.«
    Sie lächelte – er liebte es, sie zum Lächeln zu bringen – und sagte: »Aus dir machen wir noch einen richtigen Yankee-Philosophen, Alan Pangborn.«
    Er berührte den Rücken ihrer behandschuhten Hand und erwiderte das Lächeln.
    Nan kehrte mit Kaffee in einem dicken weißen Becher zurück und verließ sie sofort wieder. Eines muß man ihr lassen, dachte Alan, sie weiß, wann der Höflichkeit Genüge getan ist. Das wußte nicht jeder mit Nans Interessen und Ambitionen.
    »Und jetzt«, sagte Alan, nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte, »möchte ich die Geschichte deines sehr interessanten Tages hören.«
    Sie erzählte ihm, wie sie und Rosalie Drake am Morgen Nettie Cobb beobachtet hatten, wie Nettie vor der Tür von Needful Things mit sich gekämpft und wie sie schließlich den Mut aufgebracht hatte, hineinzugehen.
    »Das ist doch toll«, sagte er, und es war seine ehrliche Meinung.
    »Ja – aber das ist noch nicht alles. Als sie herauskam, hatte sie etwas gekauft! Ich habe sie noch nie so froh und so strahlend gesehen wie heute. Das ist es, strahlend. Du weißt, wie farblos sie normalerweise ist?«
    Alan nickte.
    »Nun, sie hatte Rosen auf den Wangen, und ihr Haar war irgendwie wirr, und ein paarmal hat sie tatsächlich gelacht.«
    »Bist du sicher, daß sie wirklich nur einen Handel abgeschlossen haben?« fragte er und verdrehte die Augen.
    »Sei nicht albern.« Sie tat so, als wollte sie ihm einen Klaps auf die Hand geben – etwas, von dem er wußte, daß sie es nie tun würde, nicht einmal zum Spaß. Nicht mit ihren Händen. »Jedenfalls hat sie draußen gewartet, bis du gegangen warst – ich wußte, daß sie das tun würde -, und dann kam sie herein und zeigte uns, was sie gekauft hatte. Du weißt doch, daß sie – in bescheidenem Umfang – Buntglas sammelt?«
    »Nein. Es gibt einige Dinge in dieser Stadt, die meiner Aufmerksamkeit bisher entgangen sind. Ob du es glaubst oder nicht.«
    »Sie hat ein halbes Dutzend Stücke. Die meisten davon hat sie von ihrer Mutter geerbt. Sie hat mir einmal erzählt, daß sie früher mehr gehabt hätte, aber einiges davon wäre zerbrochen. Auf jeden Fall liebt sie die paar Stücke, die sie hat, und er hat ihr den prachtvollsten Lampenschirm verkauft, den ich seit Jahren gesehen habe. Auf den ersten Blick konnte man ihn für eine Arbeit von Tiffany halten. Was er natürlich nicht war – nicht sein konnte. Nettie könnte sich niemals ein Stück echtes Tiffany-Glas leisten – aber er ist wirklich wunderschön.«
    »Was hat sie dafür bezahlt?«
    »Ich habe sie nicht danach gefragt. Aber ich wette, der Strumpf, in dem sie ihr Geld aufbewahrt, ist heute nachmittag flach.«
    Er runzelte leicht die Stirn. »Bist du sicher, daß sie nicht übers Ohr gehauen wurde?«
    »Ganz sicher. Nettie mag in vielen Dingen unsicher sein, aber mit Buntglas kennt sie sich aus. Sie sagte, es wäre ein guter Kauf gewesen, und das bedeutet, daß es einer war. Der Lampenschirm hat sie so glücklich gemacht, Alan.«
    »Das freut mich. Just The Ticket.«
    »Wie bitte?«
    »Das war der Name eines Ladens in Utica«, sagte er. »Vor langer Zeit, als ich noch ein kleiner Junge war. Just The Ticket.«
    »Und hatten sie dort dein Ticket?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bin nie darin gewesen.«
    »Nun«, sagte sie, »anscheinend glaubt unser Mr. Gaunt, er hätte meines.«
    »Wieso?«
    »Nettie hat meinen Tortenbehälter mitgebracht, und es lag ein Brief darin. Von Mr. Gaunt.« Sie schob ihm über den Tisch hinweg ihre Handtasche zu. »Sieh in meine Tasche – ich kriege heute nachmittag den Verschluß nicht auf.«
    Er ignorierte die Handtasche fürs erste. »Wie schlimm ist es, Polly?«
    »Schlimm«, sagte sie schlicht. »Es war schon schlimmer, aber ich will dich nicht anlügen; viel schlimmer war es noch nie. Schon die ganze Woche, seit dem Wetterumschlag.«
    »Willst du zu Dr. Van Allen gehen?«
    Sie seufzte. »Noch nicht. Eigentlich wäre jetzt wieder ein Nachlassen fällig. Jedesmal, wenn der Schmerz so schlimm geworden ist, wie er jetzt ist, läßt er genau in dem Moment nach, in dem ich das Gefühl habe, ich würde bald wahnsinnig werden. So ist es bisher immer gewesen. Aber ich vermute, irgendwann einmal wird der Schmerz einfach nicht mehr

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