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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sofort zur Sache. »Hier spricht Wilma Jerzyck. Ich rufe an, um Ihnen zu sagen, daß, wenn Sie diesen Hund nicht zum Schweigen bringen, ich es selbst tun werde.«
    »Er hat doch schon wieder aufgehört!« hatte Nettie gerufen. »Ich habe ihn hereingeholt, sobald ich nach Hause kam und ihn hörte! Lassen Sie mich und meinen Raider in Ruhe! Ich habe Sie gewarnt! Sonst wird es Ihnen noch leid tun!«
    »Und Sie denken daran, was ich gesagt habe«, hatte Wilma ihr erklärt. »Ich habe es satt. Wenn er noch einmal Krawall macht, mache ich mir nicht erst die Mühe, mich bei der Polizei zu beschweren. Dann komme ich herüber und schneide ihm die verdammte Kehle durch.«
    Sie hatte aufgelegt, bevor Nettie etwas erwidern konnte. Die Kardinalregel bei allen Konfrontationen mit dem Feind (Verwandten, Nachbarn, Ehegatten): der Angreifer muß das letzte Wort haben.
    Seither hatte der Hund nicht wieder Laut gegeben. Das heißt, vielleicht hatte er es doch getan, aber Wilma war es nicht aufgefallen; so lästig war es von Anfang an nicht gewesen. Außerdem hatte Wilma einen wesentlich produktiveren Streit mit der Frau vom Zaun gebrochen, der der Schönheitssalon von Castle Rock gehörte. Wilma hatte Nettie und Raider fast vergessen gehabt.
    Aber vielleicht hatte Nettie sie nicht vergessen. Wilma hatte Nettie erst gestern gesehen, in dem neuen Laden. Und wenn Blicke töten könnten, dachte Wilma, dann hätte ich als Leiche dort auf dem Fußboden gelegen.
    Jetzt, da sie vor ihren verschlammten, ruinierten Laken stand, erinnerte sie sich an den Ausdruck von Angst und Trotz, der auf dem Gesicht der verrückten Ziege erschienen war, die Art, wie sie die Lippen gekräuselt und einen Moment lang die Zähne gezeigt hatte. Wilma war mit dem Ausdruck des Hasses bestens vertraut, und gestern hatte sie ihn auf dem Gesicht von Nettie Cobb gesehen.
    Ich habe Sie gewarnt... Es wird Ihnen noch leid tun.
    »Wilma, komm herein«, sagte Pete. Er legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter.
    Sie schüttelte sie heftig ab. »Laß mich in Ruhe.«
    Pete trat einen Schritt zurück. Er sah aus, als würde er am liebsten die Hände ringen, wagte es aber nicht.
    Vielleicht hatte sie es auch vergessen , dachte Wilma. Zumindest, bis sie mich gesten in dem neuen Laden sah. Vielleicht hat sie auch die ganze Zeit etwas geplant,
    (ich habe Sie gewarnt)
    sich etwas durch ihren verrückten Kopf gehen lassen; und als sie mich dann sah, hat sie losgelegt.
    Irgendwann in diesen wenigen Sekunden war ihr zur Gewißheit geworden, daß es Nettie gewesen war – mit wem sonst, der vielleicht einen Groll gegen sie hegte, hatte sie in den letzten Tagen Blicke getauscht? Es gab noch mehr Leute in der Stadt, die sie nicht mochten, aber diese Art von Streich – diese Art von feigem, hinterhältigem Streich – paßte genau zu dem Blick, mit dem Nettie sie gestern bedacht hatte. Dieser Blick, diese Mischung aus Furcht
    (es wird Ihnen noch leid tun)
    und Haß. Sie hatte selbst ausgesehen wie ein Hund, der nur dann den Mut zum Zubeißen aufbringt, wenn sein Opfer ihm den Rücken zuwendet.
    Ja, Nettie Cobb war es gewesen, ganz bestimmt. Je länger Wilma darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie. Und die Tat war unverzeihlich. Nicht, weil die Laken ruiniert waren. Nicht, weil es ein feiger Streich war. Nicht, weil es die Tat von jemandem war, der nicht ganz dicht war.
    Es war unverzeihlich, weil Wilma Angst gehabt hatte.
    Nur eine Sekunde lang, zugegeben. Nur in jener Sekunde, in der das glitschige braune Ding aus der Dunkelheit heraus in ihr Gesicht geflappt war, sie kalt gestreichelt hatte wie die Hand eines Monsters. Aber selbst eine einzige Sekunde Angst war eine Sekunde zuviel.
    »Wilma?« fragte Pete, als sie ihm das Gesicht zuwendete. Ihm gefiel die Miene nicht, die das Flutlicht ihm zeigte, nur glänzende weiße Oberflächen und schwarze, eingesunkene Schatten. Ihm gefiel der dumpfe Ausdruck in ihren Augen nicht. »Liebling, ist alles in Ordnung?«
    Sie ging an ihm vorbei, ohne ihn zur Kenntnis zu nehmen. Pete eilte ihr nach, als sie dem Haus zustrebte – und dem Telefon.

4
     
    Nettie saß in ihrem Wohnzimmer mit Raider zu ihren Füßen und ihrem neuen Buntglas-Lampenschirm auf dem Schoß, als das Telefon läutete. Es war zwanzig Minuten vor acht. Sie sprang auf, umklammerte den Lampenschirm fester, schaute voller Angst und Mißtrauen zum Telefon. Einen Augenblick lang war sie ganz sicher – albern natürlich, aber sie konnte sich von derartigen Gefühlen nicht

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