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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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befreien -, daß es eine Amtsperson war, die anrief, um ihr zu sagen, daß sie ihren wunderhübschen Lampenschirm zurückgeben müßte, daß er jemand anderem gehörte, und daß ein so herrlicher Gegenstand unter Netties wenigen Habseligkeiten ohnehin fehl am Platze wäre, schon der Gedanke wäre lächerlich.
    Raider blickte kurz zu ihr auf, als wollte er fragen, ob sie an den Apparat gehen wollte oder nicht, dann legte er die Schnauze wieder auf die Pfoten.
    Nettie legte den Lampenschirm vorsichtig beiseite und nahm den Hörer ab. Vermutlich war es nur Polly, die sie bitten wollte, morgen früh noch etwas in Hemphill’s Market zu besorgen, bevor sie zur Arbeit kam.
    »Hallo, hier bei Cobb«, sagte sie entschlossen. Ihr ganzes Leben hatte sie in Angst vor irgendwelchen Amtspersonen verbracht, und sie hatte herausgefunden, daß der beste Weg, diese Angst zu überwinden, darin bestand, selbst wie eine Amtsperson zu sprechen. Davon ging die Angst nicht weg, aber es hielt sie zumindest in Grenzen.
    »Ich weiß, was Sie getan haben, Sie verrückte Ziege!« spie eine Stimme sie an. Sie kam so plötzlich und so grausam wie der Schlag eines Eispickels.
    Netties Atem hakte wie an einem Stachel; ein Ausdruck hilflosen Entsetzens erstarrte auf ihrem Gesicht; ihr Herz versuchte, sich seinen Weg in ihre Kehle zu rammen. Raider blickte wieder zu ihr auf, fragend.
    »Wer... wer...«
    »Sie wissen verdammt gut, wer«, sagte die Stimme, und natürlich wußte Nettie es. Es war Wilma Jerzyck. Diese böse, böse Person.
    »Er hat nicht gebellt!« Netties Stimme war hoch und dünn und schrill, die Stimme eines Menschen, der gerade den gesamten Inhalt eines Heliumballons inhaliert hat. »Er ist jetzt erwachsen und bellt nicht mehr. Er liegt hier vor meinen Füßen!«
    »Hat es Ihnen Spaß gemacht, meine Laken mit Dreck vollzusauen, Sie dämliche Kuh?« Wilma war wütend. Die Cobb versuchte doch tatsächlich, so zu tun, als handelte es sich immer noch um den Hund.
    »Laken? Was für Laken? Ich... ich...« Nettie ließ die Augen zu ihrem Buntglas-Lampenschirm wandern; es war, als flößte sein Anblick ihr Kraft ein. »Lassen Sie mich in Ruhe! Sie sind diejenige, die verrückt ist, nicht ich!«
    »Das werde ich Ihnen heimzahlen. Niemand kommt in meinen Garten und bewirft meine Laken mit Schlamm, wenn ich nicht da bin. Niemand. NIEMAND! Verstanden? Geht das in Ihren dämlichen Schädel hinein? Sie werden nicht wissen, wo, und Sie werden nicht wissen, wann, und vor allem werden Sie nicht wissen, wie , aber ich werde es Ihnen HEIMZAHLEN. Haben Sie verstanden?«
    Nettie drückte den Hörer ganz fest ans Ohr. Ihr Gesicht war totenbleich, abgesehen von einem leuchtendroten Streifen, der sich zwischen Augenbrauen und Haaransatz über ihre Stirn zog. Ihre Zähne waren zusammengebissen, ihre Wangen arbeiteten wie Blasebälge, und ihr Atem ging keuchend.
    »Sie lassen mich in Ruhe, sonst wird es Ihnen leid tun!« kreischte sie mit ihrer schrillen, schwächlichen Heliumstimme. Raider stand jetzt vor ihr, mit gespitzten Ohren und glänzenden, besorgten Augen. Er spürte Bedrohung im Zimmer. Er bellte einmal, streng. Nettie hörte es nicht. »Es wird Ihnen sehr leid tun! Ich – ich kenne Leute! Amtspersonen! Ich kenne sie sehr gut ! Ich brauche mir das nicht gefallen zu lassen!«
    Langsam sprechend, mit einer Stimme, die leise und eindringlich und über die Maßen wütend war, sagte Wilma: »Sich mit mir anzulegen, war der größte Fehler, den Sie in Ihrem Leben gemacht haben. Sie werden mich nicht kommen sehen.«
    Es gab ein Klicken.
    »Das wagen Sie nicht!« heulte Nettie. Jetzt rannen ihr Tränen über die Wangen, Tränen des Entsetzens und abgrundtiefer, hilfloser Wut. »Das wagen Sie nicht, Sie böse Person! Ich – ich...«
    Es gab ein weiteres Klicken, gefolgt vom Leerzeichen.
    Nettie legte den Hörer auf und saß fast drei Minuten lang kerzengerade aufgerichtet auf ihrem Sessel und starrte ins Leere. Dann begann sie zu weinen. Raider bellte abermals und legte die Pfoten auf die Kante ihres Sessels. Nettie drückte ihn an sich und weinte in sein Fell. Raider leckte ihr den Hals.
    »Ich lasse nicht zu, daß sie dir etwas tut, Raider«, sagte sie. Sie atmete seine süße, saubere Hundewärme ein, versuchte, Trost aus ihr zu schöpfen. »Ich lasse nicht zu, daß diese böse, böse Frau dir etwas tut. Sie ist keine Amtsperson, keineswegs. Sie ist nur ein böses altes Weib, und wenn sie versucht, dir etwas zu tun – oder mir -, dann wird es ihr leid

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