In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
schon gegangen. Dann, als sein Verstand sich wieder zurückmeldete, erhob er sich und machte sich auf die Suche. Erst sah er im Bad nach, doch dort war sie nicht; dann ging er nach unten in die Küche, wo Maggie sich manchmal Tee aufbrühte, wenn die Schmerzen zu schlimm wurden. Auch die war verlassen. Jamie stolperte durch das dunkle Haus, stieß mit Schienbeinen und Ellbogen an alle möglichen Kanten. Er streckte den Kopf zur Tür hinaus und flüsterte ihren Namen. Zuletzt schlug er den Rückweg zum Schlafzimmer ein.
Als Jamie die Treppe erklomm, sah er ein schmales Lichtband aus seinem Arbeitszimmer dringen. Er drehte den Knauf und schob leise die Tür auf, bis er Maggie vor seinem privaten Computerterminal stehen sah, in ihren Bademantel gehüllt sowie in Datenhelm und Datenhandschuh, die an den Computer angeschlossen waren.
Er wußte, daß sie ihn unter dem Helm nicht hören würde, deshalb machte er sich gar nicht erst die Mühe, ihren Namen zu rufen. Statt dessen tappte er vorwärts, bis er genau hinter ihr stand und sehen konnte, wie sie sich in einem seiner alten Programme bewegte.
Das ergab keinen Sinn, doch in jener Nacht hatte nichts Sinn ergeben, angefangen mit Maggies Forderung, sie zu töten. Sie war kein Computerfreak wie er- hatte im Gegenteil nicht das geringste für Computer übrig. Ihre Abneigung ging so weit, daß sie sich weigerte, in Jamies Arbeitszimmer Staub zu wischen, weil sie sich davor fürchtete, über irgendwelche Drähte steigen zu müssen oder die empfindliche technische Balance zu stören. Jamie konnte sich nicht entsinnen, daß Maggie seit ihrer Heirat jemals freiwillig sein Arbeitszimmer betreten, ganz davon zu schweigen, daß sie eines seiner VR-Programme gestartet hätte.
Jamie warf einen Blick auf den Bildschirm. Was er sah, unterschied sich natürlich erheblich von dem, was Maggie unter ihrem Datenhelm wahrnahm. Doch selbst im zweidimensionalen Bild konnte er erkennen, daß sie die CD-Rom für ein etliche Jahre altes Programm gefunden hatte: den Rundgang durch eine Schule, mit ihrer Person – digitalisiert. Sie war irgendwo mitten in einer Grundschule und marschierte entschlossen durch die Gänge. »Komm schon«, sagte sie leise zu sich selbst, »irgendwo muß es hier einen geben.«
Er runzelte die Stirn und beobachtete, wie sie die behandschuhte Hand ausstreckte, um eine Tür zu öffnen, die in eine Toilette führte. Sie war für Lehrerinnen bestimmt und mit einem bodenlangen Spiegel an der Wand neben dem Papierhandtuchspender ausgestattet. Maggie trat vor den Spiegel, so daß sie ihr Gesicht und ihre Gestalt erkennen konnte. Nur daß es ihr Körper aus dem Jahr 1993 war, vor ihrer Erkrankung.
Nun hielt sie den Atem an und löste mit ihrer freien Hand den Gürtel des Bademantels. Dann begann sie, sich mit der Hand im Handschuh zu streicheln. Jamie wußte, was sie sah, weil das Spiegelbild auf dem kleinen Computerbildschirm dem entsprach, was Maggie durch den Datenhelm erblickte. Doch Maggie, die zudem den gesamten Ornat eines Virtual-Reality-Systems trug, sah sich selbst nicht nur anders, sondern empfand sich auch anders.
Jamie trat näher, bis er sich nur noch eine Armeslänge entfernt von ihr befand. Maggies Hand in dem Spezialhandschuh schwebte Zentimeter über ihrer Haut, trotzdem wußte er, daß sie die Wärme und Festigkeit eines richtigen Körpers spürte. Ihre Hand strich über ihre Rippen in Richtung Schlüsselbein und umschmiegte die Luft über ihrer Brustamputations-Narbe. Auf dem Bildschirm, im Spiegel, hielt sie ihre gesunde Brust.
Unter dem Datenhelm begann Maggie zu lächeln.
Jamie spürte, wie seine Augen brannten. Und er, der seine ganze berufliche Laufbahn der Erschaffung virtueller Umgebungen geweiht hatte, die keinerlei Störung zuließen, beging die Todsünde, in die Peripherie einzudringen. Er legte seine Arme um Maggies Taille und band ihren Morgenmantel wieder zu. Dann faßte er nach dem Handschuh und zog ihn von ihrer Hand, um mit seinen Fingern Maggies zu umfassen, am Schluß zuzudrücken, bis es schmerzte, bis ihr nichts anderes übrigblieb, als sich daran zu erinnern, daß da draußen die wahre Wirklichkeit auf sie wartete.
Einmal mußte ich mitten in einer stinklangweiligen Sitzung daran denken, wie es wohl wäre, dich wiederzusehen. Allein die Vorstellung machte mich nervös. Ich fing an zu schwitzen, konnte mich nicht zusammenreißen. Tatsächlich mußte ich aus dem Raum gehen.
Ich stand auf dem Parkplatz, wo mich die
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