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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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es sieht für mich noch dazu so aus, als wärst du vielleicht gezwungen worden, Dad zu heiraten …«
    »Cam«, unterbrach Ellen ihn ruhig. »Denk doch mal nach. Glaubst du wirklich, daß ich deinen Vater nicht heiraten wollte?«
    Cam versuchte sich daran zu erinnern, wie seine Eltern miteinander umgegangen waren, und sofort fiel ihm ein, wie er einst als Fünfjähriger aus einem Alptraum aufgewacht und mitten in der Nacht in ihr Schlafzimmer gewandert war. Selbst im Dunkeln hatte er den Haufen im Bett sehen können, der sich stöhnend wälzte. Zu Tode erschrocken glaubte er, seine Mutter schreien zu hören, und in diesem Augenblick begriff er, daß dieses gräßliche Ding seine Eltern bei lebendigem Leibe auffressen wollte.
    Er schlich sich an die Bettkante und war schon kurz davor, aus vollem Halse loszuschreien, als er seinen Vater unter der Decke fand. Es war ein Spiel! Eine Minute lang schaute er zu, dann tippte er auf irgendeinen Körperteil unter der Decke. »Kann ich mitspielen?« fragte er und wunderte sich, warum seine Eltern zwar loslachten, ihn aber nicht mitmachen ließen.
    »Hör mal zu«, sagte Ellen. »Warum, um Gottes willen, sollte ich herumlaufen und mir freiwillig ein Jahr mehr aufbuckeln?« Sie setzte sich auf den Stuhl, auf dem sie saß, seit Cam denken konnte. »Und falls du jemals mit dem Gedanken spielen solltest, mir ein Enkelkind zu schenken, wirst du bald merken, daß ein Kind, das zwei Monate zu früh geboren wird, niemals zehn Pfund wiegen kann.«
    Cams Hände sanken herab. »Du bist weggelaufen, weil du schwanger geworden bist?« fragte er.
    »Ich bin weggelaufen, weil ich schwanger geworden bin und weil dein Vater geglaubt hat, ich sei achtzehn«, antwortete Ellen. »Er war elf Jahre älter; ich habe mir damals nicht vorstellen können, daß es ihm gefallen würde, an jemanden wie mich gekettet zu sein, ganz egal, wie gut ihm meine Gesellschaft gefallen hat. Und wir sprechen hier über das Jahr 1959, wo selbst weniger anständige Männer als Ian immer noch ehrenvoll handelten. Also wollte ich ihm den Ärger ersparen. Nur hat er mich gefunden – dank Bally Beene. An meinem siebzehnten Geburtstag haben wir geheiratet. In Maryland, wo ich mich ein Jahr älter machen konnte und wir keine Einwilligung von meinen Eltern brauchten.«
    Cam sah seine Mutter in einem ganz neuen Licht. »Und Dad war das egal?« fragte er.
    »Oh«, widersprach Ellen, »das war es keineswegs. Ich bedeutete ihm etwas, und du ebenfalls, so klein du in diesem Augenblick auch noch warst. Nach der Hochzeit hat er eine Woche lang nicht mit mir gesprochen, weil ich so dumm gewesen war, mich ihm nicht anzuvertrauen.«
    Die Mikrowelle piepte. Cam ging hin, holte den dampfenden Teller heraus und stellte ihn vor seine Mutter. »Du warst ja eine richtig heiße Nummer«, grinste er.
    Ellen spießte ein Tofustück auf und pustete, um es abzukühlen. »Erzählst du mir, wieso du bei Bally warst?«
    Immer noch lächelnd schüttelte Cam den Kopf. »Du wirst dich wohl aufs Revier bemühen und es über den Akten auspendeln müssen«, sagte er. »Es ist vertraulich.«
    »Ich habe einen Chief geheiratet und einen zweiten geboren« erwiderte Ellen. »Komm mir nicht mit diesem Quatsch.«
    »Irgendwelches Zeug«, wich Cam aus.
    »Solange es nur nichts mit Jamie zu tun hat«, mahnte Ellen. »Der hat schon genug Probleme.«
    »Schmutzige Sachen über einen Mörder auszubuddeln ist nicht mein Job«, sagte Cam. »Das überlasse ich dem Staatsanwalt.«
    »Er hat sie aus Mitleid getötet«, korrigierte Ellen, »und ist kein Mörder.«
    »Siebzehn, achtzehn«, murmelte Cam, »das ist eine Frage der Semantik.«
    Ellen funkelte ihn an.
    »Tut mir leid«, sagte Cam.
    Sie stand auf und begann, in der Küche herumzulaufen, ihren Teller und das Besteck vorzuwaschen und es in die Geschirrspülmaschine zu stellen. Auch das leise Klatschen ihrer Schlappen auf dem weißen Boden klang vertraut, und Cam begann sich an diesen Raum als einen Ort der Musik und des Lichts zu erinnern, wo an einem verregneten Samstagmorgen die Waffeln im Eisen verbrannten, während er zu dem improvisierten Tänzchen seiner Eltern rund um den Küchentisch den Takt klatschte. Selbst wenn das Radio aus war, kam er oft in die Küche seines Elternhauses und spürte deutlich die dortige Vitalität. Cam merkte, daß er die Küche in seinem eigenen Haus anders empfand; die war kein Herz, das die anderen Räume mit Leben versorgte. Wenn er und Allie gemeinsam in der Küche waren –

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