In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
vielen Jahren war in Schottland jede Ehe mit einem Blutschwur besiegelt worden, und diese Tradition hatten die Einwohner dieses Ortes mit über den Ozean gebracht. Früher witzelte man über eine Frau, die mehrmals geheiratet hatte und wieder geschieden worden war, sie hätte mehr Kerben an ihrem Arm als ein Meterstab.
Ellen war in Ohnmacht gefallen, als Ian das sgian dhu aus seinem Stiefel gezogen, ihre beiden Handgelenke aufgeritzt und sie mit einem Taschentuch zusammengebunden hatte, um das Blut zu stillen. Sie waren auf den Stufen vor dem Haus des Friedensrichters gestanden, und ganz plötzlich schien die Sonne zu hell, um noch echt zu sein; schließlich war sie mit dem Kopf im Schoß ihres frischgebackenen Ehemanns und mit einem dumpfen Klopfen im Arm aufgewacht. Wenn Ellen sich recht entsann, hatte Allie den Blutschwur ganz gut überstanden. Cam hingegen sah damals ein bißchen blaß aus.
Allie hielt die freie Rechte um ihr Handgelenk, als würde es fünf Jahre danach immer noch schmerzen. Sie ging an den Küchentisch und setzte sich.« Das ganze Theater bringt uns noch um«, sagte sie. »Wenn alles vorbei ist, werden wir überhaupt nicht mehr miteinander reden.«
Ellen nickte mitfühlend. »Er hat ein schlechtes Gewissen«, meinte sie nur. »Wieso sollte er sonst jedesmal so aufbrausen, wenn du nur ein bißchen Güte willst?« Sie hielt inne. »Ich nehme an, du solltest dich etwas weniger intensiv mit Jamies Fall befassen«, schlug sie vor. »Laß doch Graham diesmal allein nach Cummington fahren.«
Allie schüttelte den Kopf. »Er kann mich nicht daran hindern zu tun, was ich will«, beharrte sie. »Cam hat damit Probleme, nicht ich.«
»Ja, aber du darfst dich nicht verzetteln. Wenn es für dich so wichtig ist, ein fester Bestandteil der Verteidigung zu sein, dann gib auf den Nebenschauplätzen nach. Sag Cam, daß du Jamie das Foto nicht zu Weihnachten schenkst.«
Allie seufzte und legte die Wange auf den kühlen Holztisch. Es war Vollmond. Sie konnte das entfernte Bellen eines Hundes irgendwo am Ende dieses Straßenzugs hören und den Wind, der im Zimmer nebenan durch den Kamin pfiff. »Wir fahren morgen los«, murmelte sie.
»Das hat Cam erwähnt«, sagte Ellen.
»Ich will nicht weg, solange das nicht geklärt ist.« Sie setzte sich abrupt auf und fuchtelte mit den Armen. Gedankenverloren rieb sie über ihr Handgelenk, als wollte sie die Wunde spüren, die ihr an ihrem Hochzeitstag zugefügt wurde. Was hatten sie einander sonst noch versprochen? Ihr fiel ein, wie Cam sie angesehen hatte und wie sich seine ruhige, feste Stimme gleich einem schützenden Cape um ihre Schultern gelegt hatte. Alles, was ich habe, und alles, was ich bin, soll fortan dein sein.
Das gleiche hatte sie zu ihm gesagt. Hätten sie sich an ihr Gelübde gehalten, hätten sie Stücke und Teile ihrer selbst dem andern zur Verfügung stellen müssen, so wie sie ihr Blut ausgetauscht hatten: Cam hätte vielleicht etwas von ihrer Ruhe annehmen sollen, und sie einen Teil seines aufbrausenden Wesens; so hätten sie gegenseitig ihre Gefühle und Wesenszüge ergänzt, bis sie nicht mehr Gegensätze, sondern gleichartig geworden wären.
Wahrscheinlich wäre dann dieser Streit nie vom Zaun gebrochen worden.
Sie sah zu Ellen auf und lächelte ein wenig. »Du hältst immer zu ihm«, sagte sie.
Die Ältere lachte. »Die Macht der Gewohnheit!« Sie reichte Allie ihre eigenen Autoschlüssel. »Nimm mein Auto«, sagte sie. »Cam kann dir morgen hinterherfahren, wenn du es wieder ablieferst.«
Allie stellte sich an die Spüle und wusch sich die Selleriereste von den Händen. »Wieso hast du gewußt, daß ich gehen würde?«
»Weil ich dich kenne und weil ich meinen Sohn kenne und weil du die Stärkere bist.«
Die Jüngere seufzte. »Du kümmerst dich um ihn, solange ich in Cummington bin?« Sie gab Ellen einen Kuß auf die Wange. Ellen nickte und öffnete die Tür, um ihre Schwiegertochter hinauszulassen.
Es hatte angefangen zu schneien, feinen, mondbeschienenen Staub, der die Welt in einen Tummelplatz für Gespenster verwandelte. Allie legte den Kopf in den Nacken und ließ den Schnee auf ihren Lidern landen. Sie schob die Zunge vor, um ein paar Flocken aufzufangen, und wartete dann, bis sie zusammen mit ihrem Stolz auf ihrer Zunge geschmolzen waren.
Sowie sie ins Schlafzimmer trat, wußte sie, daß Cam nicht schlief. Sie knipste das Licht an. »Ich bin wieder da«, sagte sie.
Cam drehte sich zu ihr um und blinzelte. Allie setzte sich
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