In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
bißchen zur Seite, weil sich ihm ein Stapel von Tonbandspulen in die Hüfte bohrte.
»Na ja«, seufzte Bud und erhob sein Glas Karottensaft zu einem stillen Toast, »so ist es bestimmt am besten für Maggie.«
Graham war plötzlich hellwach und setzte sich auf. »Sie wußten von Maggies Krankheit?«
»Natürlich«, sagte Bud. »Hat Mrs. MacDonald – Allie …«
»Sagen wir einfach, daß Sie immer Allie meinen, wenn Sie von Mrs. MacDonald sprechen«, unterbrach Graham ihn gewandt.
»Also, hat sie Ihnen nicht gesagt, was ich ihr letztes Mal erzählte?« Falls ja, dann war das inzwischen Monate her, und Graham konnte sich nicht mehr daran erinnern. »… von der Nacht, in der der Krankenwagen kam, um Maggie zu holen, weil sie nicht mehr geatmet hat. Hätte uns fast das Herz gebrochen, daß die jungen Leute soviel durchmachen mußten. Und daß Maggie so war, wie sie war.«
»Schwach, meinen Sie?«
Bud lachte. »Maggie? Schwach? Nein, ich meine hilflos. Sie konnte es nicht ertragen, wenn irgend jemand irgendwas für sie tat. Als ich das gleiche mit meiner Schwester durchmachte, hat sie mir geradeheraus erklärt, daß sie lieber tot wäre, als der Gnade dieser Maschinen ausgeliefert zu sein.«
»Können Sie mir das ausführlicher beschreiben?«
Der Mann lehnte sich zurück und stellte sein Glas auf einem Untersetzer aus in Schellack gegossenen Kronenkorken ab. »Es war keine so gute Zeit für mich«, begann er. »Meine Schwester hatte einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr erholte. Ein paar Monate lang waren Marie und ich fast den ganzen Tag im Krankenhaus. Maggie hat sich damals Urlaub genommen und den Laden für uns geführt; und sie hat Jamie dazu gebracht, am Wochenende bei uns sauber zu machen. Sie hat uns immer diese Kekse mit M&Ms drin gebracht und riesige Kuchen, mitten ins Krankenhaus, weil sie meinte, wir dürften nicht vom Fleisch fallen. – Jedenfalls«, fuhr er mit einem Seufzer fort, »kam Maggie eines Nachts, als Marie eben dem Ruf der Natur folgen mußte, näher ans Krankenhausbett als je zuvor. Sie war schon vorher im Zimmer gewesen, aber war immer gleich wieder rausgelaufen, so als könnte sie sich anstecken. Sie sah Frances mitten ins Gesicht, das seit dem Schlaganfall auf einer Seite ganz streng schaute, und strich ihr über die Wange. ›Das ist doch kein Leben‹, hat sie zu mir gesagt.«
Graham zückte einen Notizblock aus seiner Brusttasche und fing an aufzuschreiben, was Mr. Spitlick berichtete. »Noch etwas?« fragte er und gab sich Mühe, sich seine Aufregung nicht anhören zu lassen.
»Ich habe ihr geantwortet, daß Frances gehen würde, wann Gott es wollte. Da …«, er schüttelte den Kopf, »hat Maggie gesagt, wenn sie an Frances' Stelle wäre, würde sie wollen, daß irgendwer Gott wachrüttelt und ihn fragt, wieso er sich soviel Zeit läßt.«
Graham beugte sich vor, die Ellbogen auf den Knien balancierend. Dabei warf er die Tonbandspulen um, so daß David Cassidy und Joni Mitchell und die Bee Gees über seine schwarzen Stadtschuhe purzelten. »Mr. Spitlick«, fragte er, »würden Sie das auch vor Gericht aussagen?«
Bud lächelte traurig und blickte aus dem Fenster auf das leerstehende Haus der MacDonalds. »Für die beiden würde ich alles tun«, antwortete er. Er erhob sich, Graham erhob sich ebenfalls; dann schlug er Graham mit einer großen, abgearbeiteten Hand auf die Schulter. »Jetzt ist sie bestimmt ein Engel«, meinte er, und seine Stimme klang eigentümlich dünn dabei.
Graham sah zu Jamies Haus hinüber, wo unter dem Verandadach ein bronzenes Mobile lärmte. »Bestimmt!«
Dr. Roanoke Martin war in Gedanken mehr bei seiner Sekretärin als bei dem Mann ihm gegenüber. Als Psychologe im Auftrag des Staates Massachusetts hatte er wahrhaftig genug Penner, Schizophrene und Psychotiker gesehen. Einmal hatte er sogar ein Gutachten über einen Kerl erstellt, der behauptete, daß ihm die linke Seite – nur die linke Seite, wohlgemerkt – des Gehirns von Charles Manson eingepflanzt worden sei. Roanoke Martin hatte keinen Anlaß zu glauben, daß sich James MacDonald in irgendeiner Hinsicht von seinen anderen Patienten unterschied und nicht gleichzusetzen war mit zehn vergeudeten Minuten, die mit einem Mittags-Quickie besser genutzt wären.
Er hatte die Standardfragen gestellt: Wußte er, wie er hieß? Welches Jahr man schrieb? Wer Präsident war? Konnte er von seiner Kindheit, seiner Familie erzählen? Der Mann vor ihm war ruhig und sprach bedächtig,
Weitere Kostenlose Bücher