Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
die erstbeste Karte mit einem Herzen vom Ständer und fuhr mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit zurück zum Glory in the Flower.
    Allie stand über ihren Bonsaibaum gebeugt und verdrahtete mal wieder die schmerzhaft verdrehten Zweige. »Hi«, sagte sie, die Augen auf die Tüte in seiner Hand gerichtet.
    »Wo ist Mia?« fragte er, so, wie er es hundertmal an diesem Vormittag geübt hatte.
    Allie zuckte mit den Achseln, wischte sich die Hände an der Jeans ab und kam auf Cam zu, bis ihre Hände über der Papiertüte schwebten wie Bienen beim Honigsammeln. »Sie hat sich frei genommen. Ihre Tante ist wieder krank geworden.«
    Cam nickte mitleidig. »Das heißt, daß du dieses Wochenende allein bist. Schaffst du das?«
    Sie lächelte. »Ich komme ausgezeichnet allein zurecht, vielen Dank«, beruhigte sie ihn und faßte in die Tüte.
    Cam setzte sich auf einen der Arbeitshocker. »Das hat heute schon mal jemand zu mir gesagt.«
    Allie fuhr mit ihrem Daumen unter den Klebestreifen des Umschlags. »Und was lernen wir daraus?« fragte sie. Sie zog die Karte heraus. Sie war rot mit einem riesigen rosa Herz auf der Vorderseite. A LLES G UTE ZUM V ALENTINSTAG, D AD , las sie. I CH BIN VIELLEICHT SCHWIERIG, ABER WENIGSTENS NIEDLICH !
    Alles Liebe, Cam, hatte er darunter geschrieben. Allie glaubte, sich verlesen zu haben, und klappte die Karte wieder zu. A LLES G UTE ZUM V ALENTINSTAG, DAD . »Soll das ein Witz sein?« fragte sie mit einem zaghaften Lächeln.
    Cam starrte sie an. »Wieso?«
    Sie wedelte die Karte vor ihm auf und ab. »Alles Gute zum Valentinstag, Dad ?«
    Er schnappte ihr das Ding aus der Hand. Finster betrachtete er die Vorderseite und schob die Hand vors Gesicht, um sich die Augen zu reiben. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe nicht nachgedacht.«
    Allie blinzelte ihn an. Er hatte nicht nachgedacht? Konnte er nicht einmal eine dämliche Karte lesen, bevor er sie ihr kaufte?
    Sie blickte auf ihre Hände, die immer noch fleckig von Blumenerde und von den spitzen Kupferdrahtenden verkratzt waren. Er sollte nicht im Streit losfahren. Rasch beugte sie sich über ihren Bonsaibaum, damit Cam nicht ihre Gedanken lesen konnte. Vielleicht maß sie dieser Sache zuviel Bedeutung bei, weil er wirklich andere Sachen im Kopf hatte.
    Sie wünschte nur, sie würde zu diesen Sachen gehören.
    »Na ja«, sagte sie und legte Karte und Pralinen neben den Bonsai auf den Arbeitstisch. Dann nahm sie ihre Drahtschere zur Hand. »Du willst wahrscheinlich los.«
    »Stimmt!« Cam stand auf. »Man kann nie wissen, wie der Verkehr wird.«
    Sie gingen aufeinander zu und umarmten sich ungeschickt, gehemmt durch Cams Waffengurt und Allies Drahtschere. Cam gab ihr einen Kuß auf den Kopf. »Alles Gute zum Valentinstag«, sagte sie fröhlich.
    »Dir auch«, brummte er. Sein Kinn ruhte auf Allies Schulter, und er konnte durch das große Schaufenster aus dem Laden blicken. Es zeigte nach Norden. Er fragte sich, wie weit es wohl nach New Hampshire war.
    Mia beobachtete, wie die glatte Schneedecke vorbeizog, geschwungen und weiß wie ein Frauenkörper. Sie saß auf dem Beifahrersitz, hatte die Beine untergeschlagen und Cam den Rücken zugedreht. Er fuhr mit einer Hand; die andere hatte sich auf dem freien Polster zwischen ihnen mit ihren Fingern verwoben.
    Sie waren in Braebury, New Hampshire, einem Ort, der sich über den Connecticut River und bis nach Vermont hinüber erstreckte, was man kaum erwartet hätte. Er lag nahe genug an den Skigebieten, um bekannt zu sein, war aber noch so weit davon entfernt, daß sich die Touristenmassen in Grenzen hielten.
    Cam lenkte den dunkelblauen Ford Sedan in die Auffahrt eines viktorianischen Lebkuchenhäuschens mit unzähligen Erkern und Türmchen, das zartrosa gestrichen war und sich vom Schnee abhob, als würde es sich schämen. In den weißen Haufen vor dem Haus steckte ein Schild: B RAEBURY H OUSE B ED & B REAKFAST , unter einer geschnitzten Holzmöwe mit im Wind ausgebreiteten Schwingen.
    »Oh«, rief Mia aus, den Blick auf die gewundene, ringsherum laufende Veranda gerichtet. »Es ist phantastisch.«
    Cam lachte. »Es wäre auch phantastisch, wenn es sich nur um eine Höhle handelte.« Er drückte ihre Hand. »Also los!«
    Behende schulterte er ihren Rucksack – mitsamt Kafka und einigen Dosen ›Fancy feast‹-Katzenfutter –, dazu seine eigene Reisetasche. Mia ging in der Spur, die er durch den Schnee pflügte, und mußte daran denken, daß dies ihre Beziehung besser beschrieb als jeder

Weitere Kostenlose Bücher