Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
andere Vergleich. Ihr Gepäck und seines, das nicht zueinander paßte und doch von derselben festen Hand gehalten wurde.
    Das Wirtspaar Alice und Horvath Kingsley erwartete sie bereits an der Eingangstür. »Kommen Sie herein, kommen Sie nur«, begrüßte Horvath sie mit schwerem Akzent.
    Alice machte viel Aufhebens um den Schnee, der sich unten an Mias großer Jacke festgesetzt hatte. »Sind Sie gut hergekommen?« fragte sie.
    Cam lächelte. »Kein Mensch ist unterwegs.«
    Mia stampfte sich den Matsch von den Stiefeln. »Ich sollte die lieber ausziehen«, sagte sie und bückte sich, um die Senkel zu lösen. Sie neigte den Kopf, weil sie sich eigenartig unsicher gegenüber diesem alten Mann und seiner Frau fühlte; sie kannten sich ja überhaupt nicht, und Mia kam sich vor wie eine schreckliche Hochstaplerin. Sie bohrte gerade die Zehen in ihren dicken Wollsocken, als sie Cams Hand schwer wie ein Joch in ihrem Nacken spürte.
    »Sind Sie zum Skifahren hier?« fragte Horvath. Der Bauch hing ihm über die Trägerhosen, ein eigenartiger Widerspruch zu seiner Frau, die nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien.
    »Unter anderem«, antwortete Cam locker. »Wir haben erst geheiratet.«
    Mia blieb der Mund offen stehen, und nur mit aller Kraft schaffte sie es, ihn wieder zu schließen und Cam anzulächeln.
    Alice Kingsley strahlte sie an und sah dabei aus wie ein Habicht. »Wie schön!« rief sie und legte die Hand auf Mias Arm. »Wann denn?«
    In Mias Mund befanden sich auf einmal lauter Steine. »Vor drei …« Ihre Stimme versagte schon beim zweiten Wort. »Drei Wochen«, setzte sie hinzu, doch im gleichen Augenblick behauptete Cam: »… drei Monaten.«
    Cam sah Mia an und lachte. »Mir kommt es jedenfalls wie drei Monate vor .«
    Über die eisig weiße Ebene wehte das leise Stöhnen eines Cellos, gefolgt von dem Tanz einer Piccoloflöte und einer lebhaften Violine. Mia drehte den Kopf zur Tür, die in Windrichtung offen stand, und meinte, sich die Musik nur eingebildet zu haben. »Habe ich das eben wirklich gehört?« fragte sie.
    Alice nickte. »Eine Meile weiter gibt es eine Musikerkolonie«, erklärte sie. »Manchmal sind dort Musiker aus dem Boston Symphony Orchestra für ein paar Wochen zu Besuch, und wenn der Wind zu uns herbläst, tja, dann kann man alles mithören. Natürlich ist es viel angenehmer, wenn die Streicher kommen als zum Beispiel die Schlagzeuger. Aber im Sommer gefällt es uns noch besser. Da spielen sie bei sich im Garten kleine Quartette.«
    Sie legte einen Arm um Mias Schultern und zog sie in den Hauptraum des Hauses, eine hübsche Grotte mit höhlenartiger Decke und einem Kamin, vor dem sechs Menschen sitzen konnten. »Kommen Sie, meine Liebe«, drängte sie. »Sie müssen sich gleich ins Gästebuch eintragen.« Sie warf einen Blick auf Horvath, der sich mit Cam über die Vogelhäuschen unterhielt, die wie winzige Telefonzellen den beschneiten Rasen hinter dem Haus tüpfelten. »Zeig doch solange Mr. MacDonald sein Zimmer.«
    Mia nahm den Stift und blickte auf die ordentlichen Schleifen und Schwünge der Namen jener Gäste, die sich vor ihr eingetragen hatten. Ihre Hand begann zu zittern. Es war nicht recht, sie wußte, daß es nicht recht war; aber andererseits hatte Cam gesagt, sie seien verheiratet.
    Mr. und Mrs. Cameron MacDonald, kritzelte sie unsicher. Wheelock, Mass.
    Sie starrte auf das Papier und fühlte sich mit jedem der schlampigen, krakeligen Worte besser, das vor ihr Auge trat. Schließlich war es ihr Wochenende, ihr Weihnachtsgeschenk – hatte sie da nicht das Recht, ein bißchen zu schwindeln?
    Cam tauchte hinter Mia auf und zog sie an seine Brust, so daß sein Daumenballen kaum spürbar über ihren Busen strich. Er blickte auf ihren Eintrag im Gästebuch, auf seinen Namen in Mias zittriger Handschrift.
    Zärtlich schlang er seine Finger um ihre. Er dachte an den Brauch der Verlobung durch Handschlag und begriff zum ersten Mal, daß kein priesterlicher Segen und kein Stück Papier den eigenen Gefühlen mehr Substanz verleihen konnte, als wenn ein Herz glaubte, jemandem zu gehören. »Nicht schlecht für eine Anfängerin«, lobte er.
    Mia drehte sich in seinen Armen zu ihm um. »Tja«, erwiderte sie, »Übung macht den Meister.«
    P SYCHIATRISCHES G UTACHTEN
P ATIENT : James MacDonald
G UTACHTER : Harrison Harding, M. D.
    Während der ersten Sitzung verhielt sich Jamie reserviert und abweisend. Er erklärte mir wiederholt, daß er nicht verrückt sei und deshalb nicht

Weitere Kostenlose Bücher