In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
und kaufte ihm ein paar künstliche Fliegen außerhalb der Saison –, doch jedes Jahr hoffte sie am Abend zuvor unwillkürlich, daß auch Cam diesmal daran denken würde. Wahrscheinlich hätte sie die Chancen zu ihren Gunsten beeinflussen können, indem sie ein paar Tage zuvor beiläufig den Valentinstag erwähnte, doch genau das verkniff sie sich.
Sie mußte Cam zugute halten, daß er jedesmal Abbuße leistete. Nach der Arbeit kam er mit einer Schachtel Pralinen und einer Karte heim, auf der in Bleistift und mit leicht zittriger Schrift Ich liebe dich stand, so als hätte er sie während der Fahrt im Auto verfaßt.
Dieses Jahr feierten sie zwei Tage früher, also schon am 12. Januar, weil Cam am Wochenende auf Dienstreise gehen würde. Die Sonne stand schon hoch und reglos am Himmel, als Allie aufwachte, doch sie kniff die Augen zu und zwang sich weiterzuschlafen. Sie gab vor, etwas Betörendes, Süßliches zu riechen – den Duft von vielleicht einem halben Dutzend Calla-Lilien, die Cam mitten in der Nacht unter seiner Bettseite versteckt hatte. Sie wagte einen verstohlenen Blick nach rechts, doch Cam schnarchte noch leicht. Einen Arm hatte er hoch über den Kopf geworfen, ein Fuß schaute unter der Decke hervor.
Ich zähle jetzt bis zehn, sagte sie sich. Dann wird er aufwachen und mich überraschen.
Eins, zwei, drei …
Sie wußte nicht, warum es ihr in diesem Jahr wichtiger war als je zuvor. Vielleicht, weil es während der Feiertage so oft zum Streit kam. Vielleicht, weil sie ihn so wenig zu Gesicht bekommen hatte, während sie Grahams Jury-Umfrage durchführte. Vielleicht, weil sie es allmählich satt hatte, die ganze Arbeit zu tun.
Sieben, acht …
Seufzend drehte sie sich zu Cam um. Das Buntglasbild, das er ihr vor Monaten geschenkt hatte, legte einen blauen Schatten über sein halbes Gesicht und ließ ihn wie ein Wesen aus einer anderen Welt aussehen. Das Glasherz der Narzisse, eine blutrote Scherbe, leuchtete wie eine Narbe auf seiner Wange.
Sie wühlte in ihrem Nachttisch nach der Karte und der kleinen Schachtel. Dann stupste sie ihn in die Rippen. »Alles Gute zum Valentinstag!«
Cams Augen flogen auf. »Nein«, stöhnte er. Er grub das Gesicht ins Kissen. »Scheiße!«
Allie fuhr mit der Hand über seine muskulöse Schulter und durch die Furche seines Rückgrats. »Laß mich raten«, flüsterte sie.
Cam stützte sich auf die Ellbogen und bot ihr ein Lächeln dar, mit dem er eine Schlange betört hätte. »Ich hatte alle Hände voll mit diesem dämlichen Training zu tun«, redete er sich heraus. »Du weißt schon, damit auf dem Revier alles geregelt ist, wenn ich heute wegfahre. Außerdem habe ich noch bis Mitternacht Zeit«, rechtfertigte er sich.
»Das sagst du jedes Jahr.«
»Weil es immer wieder wahr ist.« Er rollte sich auf den Rücken. »Wenn du schlau wärst, würdest du bis zum Abendessen warten, ehe du mir deine Karte gibst.«
Er öffnete sie bereits. »Täte ich das«, meinte Allie leidenschaftslos, »würde ich nie was zum Valentinstag kriegen.«
Cam setzte sich auf, las die Karte, grinste und gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Sieh es einfach so. Da ich mittags weg muß, kriegst du bis dahin ganz bestimmt was.« Er riß das Papier auf, mit dem das kleine Geschenk verpackt war, und hob zwei Wollfliegen aus der Schachtel. »Die sind ja toll«, gab er sich begeistert. »Ich finde es einfach phantastisch, Zeug zum Fliegenfischen zu bekommen, wenn draußen dreißig Zentimeter Schnee liegen.«
Allie schwang die Beine aus dem Bett. »Auf diese Weise kommt der Frühling schneller«, prophezeite sie und tappte davon ins Bad.
Sobald sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, atmete Cam langsam aus und legte die Hände vor sein Gesicht. Sie zitterten. Er wollte sich um ein Uhr mit Mia in Shelburne Falls treffen, wo sie ihren Wagen bei einem Stop & Shop stehenlassen würde, um dann den Rest der Fahrt nach New Hampshire mit ihm gemeinsam zurückzulegen.
Als Allie aus dem Bad kam, war er bereits dabei, Anziehsachen in eine Reisetasche zu stopfen. Sie sah ihn seine Jeans zusammenfalten, einen Rollkragenpullover und ein Sweatshirt, eine lange Unterhose. Dann stellte er seine schweren Schneestiefel obendrauf. »Hast du nicht die Uniform vergessen?« fragte sie.
Es fröstelte ihn leicht, als er die Reisetasche zuzog und sich umdrehte. »Mein Gott«, sagte er. »Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.« Er deutete auf die Tasche. »Das Seminar ist in Zivil. Ohne
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