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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hinunter, den seine Zukunft auf seine Zunge schickte.
    Allie zappelte ein wenig auf ihrer harten Holzbank. Eben war Jamie aufgerufen worden; der Gerichtsdiener geleitete ihn zu seinem Platz. Er trug den olivfarbenen Anzug, den sie ihm gekauft hatte, und aufgrund seiner Größe und seiner breiten Schultern wirkte er wie ein Erwachsener, der sich in eine Schulbank zwängte.
    Sie sah sich um. Ellen saß neben ihr, hielt Allies Hand und drückte den runden, schwarzen Stein hinein. Gestern hatte sie Jamie ein Mantra gegeben, ein Wort, das er nach Hause, in den Gerichtssaal und überall hin mitnehmen sollte, wo er das Bedürfnis verspürte, sein Gleichgewicht zu finden.
    Angus, Gott gebe seiner Seele Frieden, ruhte ein paar Schritte von Ian entfernt auf dem Friedhof von Wheelock. Doch Allie wußte, daß er zuschaute. Sie wußte das, weil sie ihn auf dem Beifahrersitz des Autos gespürt hatte, das er seit Jahren nicht mehr benutzte und das Jamie flottgemacht hatte, um damit zur Verhandlung zu kommen.
    Die übrigen Zuschauer im Saal waren Menschen, die von dem Fall gehört hatten, oder Reporter. Vielleicht waren auch ein paar Gerichts-Schlachtenbummler darunter. Leute mit einer Vorliebe für Geheimnisse, die Verhandlungen über Kriminalfälle verfolgten und Wetten abschlossen über den Ausgang.
    Eben wollte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Zeugenstand zuwenden, wo Jamie vereidigt wurde – als ihr das Funkeln eines Abzeichens ins Auge fiel. Cam schlich leise durch den Mittelgang und ließ sich ein paar Reihen hinter ihr an der Wand nieder.
    Seit Maggies Arzt in den Zeugenstand gerufen worden war, kam er regelmäßig zu den Verhandlungen. Er äußerte sich nie darüber, und sie hatten kein einziges Mal zu Hause über den Fall gesprochen; doch andererseits redeten sie sowieso kaum miteinander.
    Allie stellte sich die Zuschauer im Gerichtssaal gerne als Hochzeitsgäste vor. Die Familie der Braut, die Familie des Bräutigams – der Staatsanwältin oder des Angeklagten. Seit der Eröffnung des Prozesses hatte sie jeden Tag die Zuschauer auf der Seite der Staatsanwältin und die Menschen auf der Seite des Angeklagten gezählt. Auf Jamies Seite waren es meist eine Handvoll weniger.
    Allie wußte, daß die meisten Zuschauer sich bei einer Verhandlung lediglich für einen Sitzplatz entschieden, ohne dabei in Betracht zu ziehen, welche psychologische Aussage sie dadurch machten; diese Dinge waren daher nichts als Interpretation. Dennoch drehte sie sich zu Cam um, fing seinen Blick auf und lächelte. Heute saß er zum ersten Mal seit seiner Teilnahme an dem Ganzen auf der Seite des Cousins.
    Graham war begeistert. Absolut begeistert. Er wandte sich an Jamie und sah dann verstohlen auf die Geschworenen, die immer wieder auf das Hemd seines Klienten schauten und mit ihren Blicken dann unauffällig wieder abschweiften. »Jamie«, sagte er, »da sich viele Leute diese Frage stellen, spreche ich sie aus: Warum haben Sie Ihr Hemd verkehrt herum angezogen?«
    Jamie räusperte sich und wurde rot. »Mein Onkel Angus hat mir erklärt, das sei ein alter schottischer Brauch; wenn man morgens verkehrt herum in ein Kleidungsstück geschlüpft ist, solle man es nicht umkrempeln, weil man damit auch sein Glück umkrempelt. Ich wollte heute kein Risiko eingehen.«
    Der Geschworene mit der Mickymaus-Krawatte brach in Gelächter aus. Ein paar Zuschauer kicherten. Graham trat an die Anklagebank. »Jamie, ich möchte Ihnen im Namen des Gerichts mein Beileid zum Verlust Ihres Onkels ausdrücken.«
    »Danke«, murmelte Jamie.
    »Können Sie dem Gericht erklären, womit Sie Ihr Geld verdienen?«
    Jamie räusperte sich. Er hatte zwar lange mit Graham geübt, trotzdem war er nervös. »Ich besitze ein Softwareunternehmen«, gab er Auskunft. »Eine Firma für Konzeptdesign. Wir erschaffen virtuelle Welten.«
    »Virtuelle Welten? Also virtuelle Realität? Mit Science-fiction-Handschuhen und Helmen und so weiter?«
    »So ungefähr«, antwortete Jamie.
    Graham pfiff durch die Zähne. »Das klingt schrecklich kompliziert«, meinte er. »Könnten Sie für uns definieren, was virtuelle Realität bedeutet?«
    Jamie rutschte auf seinem Stuhl herum. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was Graham wohl mit diesen Fragen bezweckte. Keiner in der Jury hatte ein Problem damit, daß Jamie mit Nintendo zusammenarbeitete. »Virtuelle Realität ist gleichzusetzen mit der willentlichen Ausschaltung jeden Zweifels«, erläuterte er. »Wir erleben sie in unseren Träumen, in

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