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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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es sich um irgendwelchen chiropraktischen Unfug, mit dem der Krebs angeblich aufgehalten werden konnte. Er sagte, er wolle allein mit mir sprechen, um seiner Frau falsche Hoffnungen zu ersparen; doch dann erläuterte er mir jedesmal, auch in ihrem Beisein, die neueste Theorie, die er ausfindig gemacht hatte. Es war deutlich, daß er sich intensiv mit Mammakarzinomen und den verschiedenen Therapien befaßt hatte, die in anderen Fällen angewendet wurden. Allerdings hätten selbst die vernünftigeren Behandlungen, die er da anschleppte, bei Maggie nichts bewirkt.«
    »Würden Sie sagen, daß er ein liebender Ehemann war?«
    Zum ersten Mal, seit Wharton sich im Zeugenstand befand, sah er Jamie an. »Seinesgleichen habe ich selten erlebt.«
    Graham setzte sich wieder. »Dr. Wharton, wann suchte Maggie Sie letztmals auf?«
    »Am fünfzehnten September, einem Freitag, glaube ich, kam sie nachmittags zu einem Termin in meine Praxis.«
    »Was haben Sie ihr an jenem Tag gesagt?«
    »Sie beklagte sich über ein Blitzen in den Augen und über zeitweilige Blindheit, was, wie ich ihr erklärte, von einem Tumor herrührte, der auf ihren optischen Nerv drückte. Zu diesem Zeitpunkt breitete sich der Krebs bereits in ihrem Gehirn aus. Ich erklärte ihr, daß ich nicht sicher sei, welcher Körperteil als nächster betroffen würde. Je nachdem, wohin der Tumor sich ausdehnte, konnte er unter Umständen ihre Atmung blockieren. Er konnte epileptische Anfälle oder einen Schlaganfall auslösen – hätte zu dauerhafter Erblindung führen können. Ich habe ihr erklärt, daß es einfach keine Gewißheit gab.«
    »Würden Sie dem Gericht beschreiben, in welcher emotionalen Verfassung sie Ihre Praxis verließ?«
    »Einspruch«, meldete sich Audra. »Der Zeuge kann nicht wissen, was in der Verstorbenen vorgegangen ist.«
    »Ich möchte mich anders ausdrücken«, nahm Graham einen neuen Anlauf. »Können Sie mir schildern, wie sie sich verhielt, bevor sie ging?«
    Wharton schüttelte den Kopf. »Sie war sehr niedergeschlagen, dankte mir und schüttelte meine Hand.« Er hielt inne, als würde ihm eben etwas einfallen. »Ach ja, sie vergaß ihre Jacke; meine Helferin mußte ihr hinterherrufen, als sie schon draußen war.« Er spitzte die Lippen. »Sie wußte bereits, daß sie sterben mußte; an jenem Tag hatte sie begriffen, daß ihre Körperfunktionen wie bei einem russischen Roulette nacheinander ausfallen würden; ich kann mir nicht vorstellen, daß es sie unberührt ließ.«
    Graham dankte dem Arzt. »Keine weiteren Fragen.«
    Audra war aufgestanden, noch bevor Graham an seinem Platz anlangte. »Eine Frage, Dr. Wharton. Können Sie als Experte dem Gericht sagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß das Opfer am Morgen des 19. September 1995 eines natürlichen Todes gestorben wäre?«
    Wharton atmete langsam aus. »Eine solche Wahrscheinlichkeit gab es nicht«, antwortete er.
    Audra lächelte. »Keine weiteren Fragen.«
    Graham erhob sich augenblicklich. »Ich möchte die Befragung erneut aufnehmen«, verkündete er. Er marschierte zügig bis an den Zeugenstand. »Dr. Wharton«, erhob er seine Stimme, »wenn Maggie den 19. September 1995 überlebt hätte, wäre ihre Lebensqualität mit der zu vergleichen gewesen, die sie vor ihrer Krebserkrankung genossen hatte?«
    Wharton blickte auf die Geschworenen. »Auf gar keinen Fall«, versicherte er.
    Cam sagte Hannah, er würde die Einsatzberichte der Beamten kontrollieren, die während der letzten Nächte Schicht gehabt hatten; dann verschwand er in sein Büro und schloß die Tür hinter sich ab. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und nahm die kleine Uhr von der Tischecke in die Hand. Sie stellte eine Prämie dar, für sein erstes gemeinsames Sparkonto mit Allie vor fünf Jahren. Für tausend Dollar hätten sie eine Heißluft-Popcornmaschine bekommen. Damals besaßen sie nur zweihundertfünfzig.
    Hierauf öffnete er das Seitenschränkchen, das mit den schaukelnden grünen Ordnern voller Vordrucken für Verhaftungsprotokolle, Haftverlegungsformularen, freiwilligen Aussagen, Streifenwagen-Fahrtenbüchern. Und dem Globus, den Mia ihm zu Weihnachten geschenkt und den er ganz hinten verstaut hatte!
    Er angelte ihn heraus und ließ ihn um seine magnetische Achse kreiseln. »Wo bist du?« fragte er laut und deutete auf die Türkei, über die sie gesprochen hatten; dann ließ er seine Fingerspitzen den ganzen Weg bis nach Nordamerika wandern. Noch einmal drehte er die Weltkugel, bis alle Farben

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