In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
Büchern, in Filmen. Der Grund, weshalb wir den Begriff mit Computern assoziieren, ist, daß speziell die Computertechnologie jemanden in diese Erlebnisweise versetzen kann.«
»Was heißt das?«
»Daß es keinerlei Ablenkung gibt – die reale Welt ist nicht mehr wahrnehmbar. Die künstliche Welt ist dann das, was man sieht, hört, fühlt.« Er hielt inne, irritiert durch die logischen Konsequenzen und die Ironie dieser Definition. Jamie MacDonald, der Vorkämpfer für Virtual-Reality-Freizeitparks und -Spielzeuge, der den MegaStick für Sega erfunden und der auf einem Zehn-Inch-Monitor eine neue Wirklichkeit gestaltet hatte, war nie in der Lage gewesen, sich ganz und gar aus der realen Welt zu lösen. Weder soweit es seine Frau, noch jetzt ihn selbst betraf. Ganz gleich, was Maggie und er bezüglich ihrer Entschlüsse sich einzureden versucht hatten – es blieben Fragezeichen. Wie nach einem Ausflug in die virtuelle Realität stand er, nachdem er erst den Helm abgesetzt, Datenhandschuh und -anzug ausgezogen und den Computer abgeschaltet hatte, wieder genau da, wo er angefangen hatte.
Jamie preßte die Hände vors Gesicht. Erschrocken trat Graham einen Schritt näher, um seinen Klienten sofort wieder zurückzuholen. »Ich würde gerne ein wenig über Maggie reden«, sagte Graham und ließ das Licht, das in Jamies Augen trat, für sich selbst sprechen – ehe er seine erste Frage stellte. »Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Elf Jahre.«
»Wie haben Sie sie kennengelernt?«
Jamies Miene verklärte sich. »Sie hat mit einem Mop einen künstlichen Ententeich im Park vor meinem Haus gesäubert. Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, und weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte, habe ich mir eine der Bürsten auf dem Rasen geschnappt und mitgemacht.«
»Wieso machte sie einen Ententeich sauber?«
»Sie hat gesagt, es würde sonst keiner tun, und ihr taten die Enten leid. Sie war so ein Mensch.«
Audra kritzelte auf den gelben Notizblock vor ihr: Sankt Maggie!
»Waren Sie glücklich verheiratet?
»Ja, schon. Sie hat es bestimmt geglaubt. Ich meine, wir haben uns auch gestritten – ob wir genug Geld hatten, wer an der Reihe war, das Bad zu putzen –, aber ich schätze, das geht allen Paaren so.« Er fixierte Pauline Cioffi, die jetzt bei den anderen Zuschauern saß. »Auch für mich war sie die beste Freundin.« Er zögerte. »Nachdem ich Maggie geheiratet hatte, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, wie ich es fünfundzwanzig Jahre ohne sie ausgehalten hatte.«
Graham lehnte sich lässig an die Geschworenenbank. »Was für Zukunftspläne hatten Sie?«
Jamies Blick umwölkte sich. »Vor ungefähr einem Jahr war es ziemlich klar, daß es keine großen Pläne mehr gab«, berichtete er. »Aber bevor Maggie krank wurde, haben wir uns oft darüber unterhalten, in ein größeres Haus und vielleicht aus Cummington wegzuziehen.« Er lächelte. »Wir hatten uns als Ziel gesetzt, mehr als nur eine Toilette zu haben. Und wir wünschten uns Kinder. Mein Gott, wie sehr haben wir uns Kinder gewünscht. Wir haben daran gearbeitet – fünf Jahre lang! Aber das erste Baby hat Maggie verloren, und sie bekam einfach kein zweites; später fanden wir heraus, daß es wahrscheinlich ebenfalls irgendwie mit dem Krebs zusammenhing.«
Allie fiel es schwer, still sitzenzubleiben. Sie dachte an den Stapel von Eisprung-Bestimmungstests, den sie in Jamies Haus im Wäscheschrank gefunden hatte. Wenn ein Kind mit im Spiel gewesen wäre, wäre Jamie wahrscheinlich nicht auf Maggies Bitte eingegangen. Mit einem Kind hätte alles anders ausgehen können. Sie senkte den Kopf ein wenig und schielte heimlich zu Cam hinüber. Ob er sie wohl auch betrogen hätte, wenn sie und Cam ein Baby hätten?
»Jamie, wie haben Sie von Maggies Krankheit erfahren?«
Einen Moment lang schwieg Jamie. Dann schloß er die Augen, lehnte sich in seinem Sitz zurück und entließ die Worte aus seinem Mund. Sie kamen langsam und ausdruckslos; doch seine Hände klammerten sich so fest um die hölzerne Absperrung vor ihm, daß Finger und Knöchel weiß hervortraten. Er erzählte eine Geschichte, und selbst die Geschworene Nummer elf, die eben noch am Eindösen gewesen war, lauschte ihr plötzlich hellwach und aufmerksam. Vor den Augen seiner Zuhörer ließ Jamie einen vereisten Teich entstehen, den gebrochenen Knöchel, die ernste Unterredung mit dem Arzt.
Cam dachte an Braebury, an die zwei Eislaufflächen, an Mia. Die Eisskulptur fiel ihm ein. Bis sie
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