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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Aber sie machte auch keine Anstalten, ihren Gurt zu lösen und auszusteigen. Dann hat sie mich angesehen und mich gefragt, ob ich wüßte, wie Krebs aussehe. Ich habe den Kopf geschüttelt, und sie fing an zu weinen. ›Er ist ein riesiger, häßlicher fetter Puppenspieler und hält alle Fäden in seiner Hand.‹«
    Graham ließ seinen Blick über die Geschworenen wandern. Auf vielen Gesichtern fand er Mitgefühl; manche hatten sich vorgebeugt. Einige der Frauen fingen Grahams Blick auf und wandten sich ab, als wüßten sie, daß ihre Reaktion beobachtet wurde. Er vergrub die Hände in den Taschen. »Jamie«, sagte er, »hat Maggie Sie schon einmal vor dem September 1995 gebeten, sie zu töten?«
    »Ja«, gestand Jamie. »Im Januar. Wir waren in Quebec, im Urlaub.«
    »Wie haben Sie damals reagiert?«
    »Ich habe ihr gesagt, sie soll aufhören mit solchem Unsinn.« Er schüttelte den Kopf. »Mir war klar, daß es schlimm für sie war, aber ich habe nicht das wahre Ausmaß erkannt.« Er blickte in die Ecke des Gerichtssaals, auf die staubige, leblose amerikanische Flagge. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß es noch schlimmer werden würde.«
    Allie saß Cam gegenüber in einem armenischen Restaurant gleich in der Nähe. Zwischen ihnen standen Teller mit Lamm und Safranreis, exotischen Gemüsen und ein Korb mit Fladenbrot. Die meisten Speisen waren noch unangetastet.
    »Glaubst du, wir sollten Jamie etwas davon mitbringen?« fragte Allie.
    »Bestimmt kümmert sich sein Anwalt darum«, meinte Cam. Er lehnte sich an das Fensterbrett und betrachtete seine Frau. So richtig begriff er es nicht, wieso sie sich so schnell einverstanden erklärte, mit ihm essen zu gehen. Er mußte sie in einem schwachen Augenblick erwischt haben, als die ergreifenden Details von Jamies Aussage sie mürbe gemacht hatten.
    »Findest du, er macht seine Sache gut? Wie er so redet und wie er da oben aussieht?«
    Cam nickte. »Ich habe mir die Geschworenen angesehen. Ein paar Frauen links haben leise geweint, als er von den Behandlungen anfing. Das ist bestimmt ein gutes Zeichen.«
    »Graham sagt, man darf sich nie auf die Geschworenen verlassen. Sie tun in einem Augenblick ganz freundlich und jagen dir im nächsten ein Messer in den Rücken. Außerdem geht es bei der Verhandlung nicht darum, ob Jamie und Maggie in einer schwierigen, grauenvollen Lage waren oder nicht. Es geht um seine Unzurechnungsfähigkeit während der Tat.«
    »Die nicht bestand«, bemerkte Cam.
    Allie schoß einen Blick auf ihn ab. »Gott sei Dank haben sie nicht dich in die Jury berufen.«
    Cam schob ihr einen Schnitz Pitabrot zu. »Du mußt etwas essen. Du siehst aus, als könnte dich ein Windhauch umschmeißen.«
    Allie stopfte sich die Pita in den Mund. »Vielen Dank«, meinte sie sarkastisch. Sie sah Cam an, der in voller Uniform vor ihr saß, den schweren Waffengürtel hoch an den Hüften; seine Marke blinkte im Licht, das durch das Fenster hereindrang. »Weißt du«, sagte sie und lächelte schüchtern, »ich fühle mich immer wahnsinnig sicher, wenn ich mit dir ausgehe und du so angezogen bist.«
    Cam lachte. »Du hast ja keine Ahnung, wie viele Leute mich im Gericht gefragt haben, wo die Toiletten sind. Sie halten mich für einen Aufpasser.«
    Allie beugte sich über den Tisch und zog seinen Kragen gerade. Als ihre Finger über die Haut unter seinem Kinn strichen, jagte ein Schauder über seinen Rücken. »Ich weiß nicht, ob das von der Uniform kommt«, sagte sie. »Vielleicht ist es auch die Pistole. Oder einfach du.« Vielleicht kommt das daher, daß man ihn niemals für einen Lügner halten würde, wenn er so angezogen ist.
    Sie sank zurück, und Cam beugte sich instinktiv vor, um sie aufzuhalten; doch er wußte, daß er sie schon wieder verloren hatte. »Ist dir klar, daß sie am gleichen Tag aufgetaucht sind?« sagte Allie ruhig. »Jamie und Mia.«
    »Ich weiß«, bejahte Cam. »Ich weiß noch, daß ich sie gefragt habe, ob sie ihn kennt.« Sein Herz klopfte wieder wie wild, allein wegen des Themas. Doch diesmal brüllte Allie ihn nicht an. Sie war in einem Restaurant, sprach leise und hielt ihm einen kurzen Strohhalm der Hoffnung hin, gerade so lang, daß er auf die Untertasse paßte, auf der die Bedienung die Rechnung brachte.
    »Habt ihr über mich gelacht?« flüsterte sie. »Ich stelle mir immer vor, wie ihr beide über mich lacht …«
    Den ganzen Morgen über hatte Cam sich Jamies herzzerreißende Aussagen anhören müssen – doch nichts davon hatte ihn so

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