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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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den Teich verließen, war es so warm geworden, daß der Eisphoenix, als sich Cam die Schlittschuhe über die Schulter hängte und einen letzten Blick zurückwarf, ganz anders aussah als in der Morgenfrische.
    Nachdem Jamie geendet hatte, ließ Graham einen Moment verstreichen. »Als Dr. Wharton Ihnen erklärte, daß Maggies Knochenläsionen von Krebsmetastasen herrührten, wie haben Sie sich da gefühlt?«
    Jamie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm erklärt, daß er sich irrt. Jeder hat doch schon mal Röntgenaufnahmen gesehen, stimmt's? Wie soll man darauf Läsionen erkennen? Wahrscheinlich war es das Wort ›Krebs‹, das mir Todesangst gemacht hat. Man hört es, und plötzlich bekommt man keine Luft mehr.« Er sah Graham ins Gesicht. »Es war im Grunde gleichgültig, daß der Doktor mir eröffnete, Maggie hätte Krebs und nicht ich. Das hätte mich auch nicht stärker treffen können.«
    »Haben Sie ein zweites Gutachten eingeholt?«
    »Ja, von einem Arzt in Boston. Er war ebenfalls der Meinung, daß Maggies Knochenläsionen Krebsmetastasen waren.« Jamie senkte den Blick.
    »Wie hat Maggie auf diesen Befund reagiert?«
    »Mit Angst. Ein paar Tage lang hat sie sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen und kaum ein Wort gesprochen, mich auch nicht an sich herangelassen. Doch dann ist ihr Lebenswille wieder erwacht, und sie wollte so schnell wie möglich operiert werden. Sie sagte, das Ding solle raus aus ihrem Körper.«
    Graham nickte. »Was haben Sie daraufhin beschlossen?«
    »Ihr wurde die Brust amputiert. Auch das machte ihr Todesangst – sie war ja noch jung und fürchtete, ich würde sie dann irgendwie für entstellt halten. Ich habe ihr immer wieder erklärt, daß das nichts ausmachen würde, daß sie sich in einem Jahr einer schönheitschirurgischen Operation unterziehen könnte und so weiter; aber ich glaube, sie hat zum Teil auch deshalb immer wieder darüber gesprochen, wie sie danach aussehen würde, weil sie sich von dem Vorhandensein der Metastasen ablenken wollte.«
    »Können Sie uns berichten, welchen Behandlungen sich Maggie unterzog?«
    Liebevoll, als wären es verschiedene Laken, die er nacheinander beiseiteschlug, um seine Frau zu enthüllen, begann Jamie, den Verlauf von Maggies Leidensweg darzustellen. Er beschrieb, wie sie auf dem Sofa im Wohnzimmer lag und Griffübungen machte, um die Muskeln unter ihrem Arm und in ihrem Brustkorb wieder aufzubauen, die bei der Operation durchtrennt worden waren. Ohne zu stottern, zählte er die Namen der Medikamente während ihrer Chemotherapie auf, als wären es alte Freunde. Nach diesen Behandlungen habe er Maggie nach Hause gefahren und zwischendurch am Straßenrand angehalten, damit sie die Tür öffnen und sich nach draußen übergeben konnte. Er schilderte das Wartezimmer der Bestrahlungsklinik mit den lächelnden, kahlköpfigen Kindern und den fahlgesichtigen Frauen, die sich Tücher um ihre Köpfe gebunden hatten. Auch den Laserstrahl, einem roten Messer gleich, der Maggies Pupille durchbohrte, ließ er nicht aus.
    »Gab es zwischendurch für Ihre Frau auch Erholungsphasen?«
    »Nein. Schließlich kam es so weit, daß der Krebs uns beide rund um die Uhr auf Trab hielt. Wir konnten uns auf nichts anderes konzentrieren und hatten auch keine Nerven mehr für Zerstreuungen. Gemeinsam haben wir daran gearbeitet, ihre Qualen zu lindern. Am Ende kannten wir alle Schleichwege zum Krankenhaus. Jeden Tag waren wir einzig und allein damit beschäftigt, ihn zu überstehen.«
    »Seit wann wußte Maggie, daß sie sterben würde?«
    Jamie wandte den Blick ab. »Der Arzt erklärte ihr, daß sich ein Tumor in ihrem Gehirn gebildet hatte. Ihr wurde immer wieder schwindlig, außerdem hatte sie hinter den Augen diese Explosionen, wie sie es nannte. Das war im Juni letzten Jahres. Nach einer Kontrolluntersuchung saßen wir in seinem Zimmer – wir kamen nach jeder Untersuchung nochmal dorthin –, und sie fragte ihn geradeheraus. Wharton hat geantwortet, jeder müsse irgendwann sterben; daraufhin wurde Maggie sehr wütend. Sie hat gesagt: ›Behandeln Sie mich nicht wie ein kleines Kind‹, und wollte aufstehen, um hinauszugehen – aber auf dem Weg ist sie zusammengebrochen.« Jamie sah auf. »Wie gesagt, das kam zu der Zeit öfter vor. Als sie wieder zu sich kam, hat er ihr die Auskunft gegeben, er wüßte nicht genau, wann.«
    »Sprach sie hinterher mit Ihnen darüber?«
    Jamie nickte. »Im Auto sagte sie kein Wort, bis wir in unsere Einfahrt eingebogen waren.

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