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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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schließlich. »Er hätte alles getan, worum Maggie ihn gebeten hat – aber er hätte ihr ganz bestimmt nicht weh tun wollen. Womöglich nahm er an, daß er ihr die Schmerzen ersparen konnte, die sie jeden Tag ertragen mußte …«
    Graham blieb vor Pauline stehen. »War Maggie Ihre beste Freundin?« fragte er leise.
    »Sie war die Schwester, die mir jetzt fehlt!«
    »Sind Sie böse auf Jamie, weil er Ihre beste Freundin umgebracht hat?«
    Paulines Blick glitt von Grahams Gesicht ab über seine Schulter und kam auf Jamie zur Ruhe. Sie lächelte ihn an, und Jamies Schultern sackten erleichtert herab. Vergebung. »Nein, ganz und gar nicht.«
    Während des Kreuzverhörs ging Audra auf Patrouille zwischen Jamie und Pauline. »Wie interessant«, sagte sie. »Sie haben Ihrer besten Freundin den Tod gewünscht?«
    Pauline sah Audra verächtlich an. Sie mochte diese Frau nicht, weder das engärschige kleine Designerkostüm noch das zurückgezerrte Haar, noch ihre näselnde Sprache. Zum Donnerwetter, die Staatsanwältin würde schon noch merken, wozu Pauline Cioffi dank ihres gesunden Menschenverstands fähig war. Als einmal ein Bengel ihren kleinen Sohn verprügelt hatte, war Pauline zum Haus dieses Raufbolds marschiert und hatte seiner Mutter eine Ohrfeige verpaßt. Wenn diese Staatsanwaltsschlampe vorhatte, Paulines Freundschaft mit Maggie in den Dreck zu ziehen – eine heilige, edle Verbindung und einer der Lichtpunkte in Paulines Leben –, dann würde Pauline ihr Gleiches mit Gleichem vergelten!
    »Blödsinn«, sagte Pauline, »Sie wissen ja nicht, was Maggie durchgemacht hat.«
    »Also Sie haben das Gefühl, daß sie erlöst werden wollte. Was wäre aber, Mrs. Cioffi, wenn man in diesem Monat ein Mittel gegen Maggies Krebs entdeckt hätte? Oder in diesem Jahr?«
    Pauline beugte sich auf ihrem Sitz vor und fixierte Audra Campbell kalt. »Aber man hat keines entdeckt«, schnaubte sie. »Oder?«
    Audra wandte sich ab, zornig und schwer angeschlagen; sie hatte keine weiteren Fragen.

 
     
    Als sich der Sturm allmählich legte und sie zu mir zurückgekehrt war, versuchte ich, nicht mehr an dich zu denken. Dies war meine Ehe; dies allein zählte.
    Doch manchmal kam mir unwillkürlich die Frage in den Sinn: Wenn es anders herum gewesen wäre – wenn sie in mein Leben getreten und dann wieder verschwunden wäre –, hätte sie sich dann ebenfalls monatelang in meine Gedanken gestohlen wie eine magische Fährte, wie ein immer wiederkehrender Refrain, wie du?

21
     
    Erst nachdem Jamie einen Dollar an den Getränkeautomaten vor dem Gerichtssaal verloren hatte, ging ihm auf, daß er nicht an die Justiz glaubte. Wieso sollte es in der Hand von zwölf Menschen liegen, die ihn nie zuvor gesehen hatten, über sein Dasein zu bestimmen? Es war nicht richtig, daß sie Einzelheiten aus Jamies Beziehung zu seiner Frau zu hören bekamen, die Jamie für sich allein bewahren wollte, damit sie nicht an Intensität und Glanz verloren. In einer vollkommenen Welt mochte es vielleicht Gerechtigkeit geben. Doch in einer vollkommenen Welt bekamen Menschen auch keinen Krebs. Das Thema Euthanasie stand nicht zur Debatte. Wenn man Geld in einen Cola-Automaten steckte, kam tatsächlich eine Cola heraus.
    Die Knöpfe seines Hemds drückten in seine Haut. Er merkte, daß er es am Morgen verkehrt herum angezogen hatte; sein Denken war getrübt. Hinter dem winzigen Plexiglasfenster in der auf und zu schwingenden Tür zum Gerichtssaal konnte er die amerikanische Flagge sehen. Ihm fiel ein, wie er als Kind den Eid auf die amerikanische Flagge aufzusagen versucht und dabei etliche Worte verwechselt hatte: Eine Nation unter der Sonne. Unbesingbar. Mit Freizeit und Gerechtigkeit für alle. Aber das hier war wohl kaum ein Klassenzimmer.
    Er dachte an die ersten Tage nach Maggies Tod zurück, als ihm nur eines wichtig erschienen war, nämlich jemanden zu finden, der ihn bestrafen würde. Damals wollte er so schnell wie möglich ins Gefängnis. Es war ihm schleierhaft, wie sich seine Einstellung so radikal hatte ändern können, daß ihm jetzt allein bei dem Gedanken übel wurde; eingesperrt zu sein, nicht mehr das Gras unter seinen Füßen und den Himmel über sich zu spüren.
    Jamie merkte, daß er ans Gefängnis dachte wie an den Tod:Man verschwand einfach. Im Grunde machte es keinen großen Unterschied.
    Durch das Plexiglas sah er Graham eine Handbewegung vollführen. Jamie MacDonald trat durch die Schwingtür und schluckte den bitteren Geschmack

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