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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Haferbrei essen soll oder wiech mich waschen muß.« Er tippte Cam auf die Schulter. »Aber deswegen bin ich sowieso nich gekomm.«
    Cam seufzte und drückte langsam die schwere Zellentür wieder zu. An spätestens einer Stunde gehen wir zum Gericht«, sagte er beiläufig zu Jamie und sperrte ihn wieder ein.
    Als er sich umdrehte, sah er seinen Onkel mit hochgelegten Füßen hinter dem Schreibtisch in seinem Büro sitzen. Cam kämpfte sich aus seiner Jacke und hängte sie an den dafür zuständigen Haken. »Manchmal glaube ich, ich hätte dich lieber in Carrymuir lassen sollen«, sagte er.
    »Manchmal würd' ich mir das auch wünschen«, erwiderte Angus.
    Cam setzte sich seinem Onkel gegenüber und stemmte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte. »Angus«, erklärte er, »ich weiß, was du mir empfehlen willst, und glaube bloß nicht, daß ich mir nicht schon selbst Gedanken deswegen gemacht hätte. Aber es ist einfach so, daß es da drüben eine Tote gibt und auch ein unterschriebenes Geständnis von dem Mann in der Zelle.«
    »Tjaja«, lenkte Angus ab. »Ich hab gestern nacht inner Schlacht von Culloden mitgemach'.«
    Da dies das allerletzte war, was Cam als Antwort erwartet hatte, beugte er sich sprachlos vor. Dann faßte er sich wieder und schüttelte den Kopf. »Wo warst du?«
    »Culloden«, erklärte Angus schlicht. »Ich weiß, du has schon'ne Menge vergessen, aber du wills doch nicht behaupn, daß dir das nichs sagt.«
    Lange hatte sich Cam geweigert, Angus ins Altersheim zu stecken, vor allem weil das nächste Heim jenseits der Berge lag, gute fünfundvierzig Minuten entfernt. Noch dazu wäre ein Mensch, der aus den Einfriedungen der Natur stammte, kaum für antiseptisch rein gewischte Böden und Bingospiele in der Caféteria zu haben. Doch allmählich sah er ein, daß ihm wohl keine Wahl blieb. »Angus«, meinte er freundlich. »Wir schreiben das Jahr 1995.«
    »Mag schon sein«, stimmte Angus ihm zu, »aber trotzdem hab ich gestern nacht mit Prinz Charlie gegen die Engländer gekämpft.« Er setzte sich auf, als könne er nicht glauben, daß Cam zu begriffsstutzig war, um zu verstehen, was er ihm damit sagen wollte. »Dein Ur-ur-ur-ur-urgroßvater is nich glücklich. Deshalb is Cameron mich heimsuchen gekomm.«
    Cam ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. Er würde das Spiel des Alten mitspielen; er würde ihm noch fünf Minuten zuhören; dann würde er ihn hinaus auf die Hauptstraße führen und mit seinem Gefangenen zum Bezirksgericht am anderen Ende des Ortes fahren. »Cameron MacDonald ist dich heimsuchen gekommen«, wiederholte er.
    »So könnte man's sagen«, nickte Angus. »Es warn bißchen, als wär ich in sein grünes Hirn gekrochen.« Nachsinnend hielt er inne. »Er wollte gar nich in Culloden sein.«
    Cam machte sich nicht die Mühe, den Kopf zu heben, und sprach einfach in seinen Hemdsärmel. »Er war ein phantastischer Soldat und für die Stuarts. Wo hätte er sonst sein sollen?«
    »Ich könnt mir vorstellen, er wär lieber daheimgewesen bei seinen Leuten.«
    Cams Geduld erschöpfte sich allmählich. »Angus, wir alle kennen die Geschichte. Wahrscheinlich nehmen die Lehrer sie in der verdammten Grundschule zum Lesenlernen, statt Dick and Jane. « Sein Kopf fuhr hoch, und er rezitierte halb singend: »Cameron MacDonald war bereit, sein Leben zu geben, damit seine Männer nach Carrymuir zurückkehren konnten.«
    »Aye!« Angus deutete mit einem Finger auf ihn. »Aber weißdu auch, wrum er das gemacht hat? Wrum er bereit war zu sterben?«
    In einer aufblitzenden Erkenntnis begriff Cam plötzlich, wohin das führen würde. »Weil er der Chief war?« antwortete er gewitzt und wollte schon zu einer Erklärung ansetzen, weshalb Jamie MacDonald trotzdem vor Gericht gestellt werden mußte.
    »Nein«, widersprach Angus, »weil er nich ausgehalten hätt, daß die Menschen sterben, die er liebt.« Er stand auf, kam hinter dem Schreibtisch hervor und legte seine dünne, blasse Hand auf Cams Rücken. »Zerbrich dir nich den Kopf, Junge. Dir wird schon was einfalln.« Dann klopfte er zum Abschied gegen die mit Kunststoff überzogenen Stäbe des Zellengitters und marschierte hinaus.
    Die Kunst des Bonsai, hatte Mia Allie erklärt, mußte im Einklang mit der Natur ausgeübt werden und in dem Wunsch, sie zu zähmen und neu zu erschaffen, wenn auch in einem anderen Maßstab. Sie beschrieb ihr die Ursprünge dieser Kunst aus China und später Japan; wie fasziniert die westliche Welt von der Macht der

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