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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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weiterer Seidenfaden war, mit dem sie ihn an sich fesselte – einem Mephisto gleich, der seine Beute in dessen schlechtes Gewissen einwickelte. Oder daß Cam stark und selbstsicher genug war, jede Fessel und jedes System zu sprengen, das Allie sich ausdenken mochte …
    Doch andererseits war ihr vielleicht genau dieser Gedanke gekommen, und sie machte eben deshalb weiter.
    Hin und wieder, wenn Cam die Schicht von Mitternacht bis acht Uhr früh hatte und Allie im Bett lag, ließ sie ihre Hände rastlos über ihren Körper wandern. Sie stellte sich vor, daß Cam irgendeine lächerliche Kleinigkeit auffallen würde – zum Beispiel, daß alle seine Socken zu Paaren zusammengelegt in seiner Schublade ruhten – und er sie mit demselben Gesichtsausdruck bestaunen würde, mit dem Allie ihn oft ansah. Allie , würde er dann sagen, und aus seinen Augen würde Verblüffung und Bewunderung leuchten, hast du das alles für mich getan?
    Cam war mitten in der Nacht ins Revier zurückgefahren, um Zandy bei der Bewachung Jamie MacDonalds abzulösen. Als Allie den Wagen in die Einfahrt biegen hörte, ließ sie das Ei aus der Schüssel, in der es gewartet hatte, in die brutzelnde Pfanne gleiten. Als Cam dann den Schmutz von seinen Stiefeln trat und seine Jacke in der Diele aufhängte, schob Allie das Ei bereits auf eine Scheibe Toast.
    Sie legte ihre Hand in seinen Nacken, als er sich schwer am Küchentisch niederließ und sich mit den Händen durchs Haar fuhr. »Müde?« fragte sie.
    Cam gab einen undefinierbaren Knurrlaut von sich. Er griff im gleichen Augenblick nach der Gabel, in dem Allie den Teller vor ihn hinstellte. Der Anblick des warmen Essens ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen; doch er legte die Gabel zögernd am Tellerrand ab und drehte sich wieder zu Allie um.
    Sie stand an der Spüle und schrubbte die Bratpfanne. Was Essensreste in der Pfanne anbelangte, hatte sie einen Tick und begann sie fast zwanghaft zu bearbeiten, sobald sie vom Herd kam. Ihre Schultern spannten sich vor Anstrengung, doch sie summte bei der Arbeit.
    »Allie«, sagte er, aber sie hörte ihn nicht bei dem Rauschen des Wassers. » Allie! «
    Erschrocken zuckte sie zusammen und klammerte sich ans Spülbecken, als hätte er sie zu Tode erschreckt, statt nur die Stimme zu erheben. »Was ist mit deinem Ei?« fragte sie.
    »Nichts.« Cam atmete tief durch. »Allie«, begann er erneut, »glaubst du, er hat recht gehandelt?«
    Allie ließ sich ihrem Mann gegenüber auf den Stuhl sinken. Sie hatte nicht den geringsten Zweifel, wen er mit seiner Frage meinte. »Und du? « fragte sie zurück.
    Cam starrte sie so durchdringend an, daß ihr sein Blick durch und durch ging. Sie verschränkte die Hände über der Brust und spürte kurz im Gedächtnis, wie Cams Mund in der vergangenen Nacht wütend an ihrer Brust gesogen hatte. »Ich weiß nicht«, gestand er. »Aber mir sind die Hände gebunden. Er hat seine Frau getötet; bei uns liegt die Leiche. Außerdem hat er Kratzspuren im Gesicht, und Hugo fand unter Maggie MacDonalds Fingernägeln Hautpartikel, die mit seinen identisch sind.« Cam hielt inne und legte den Kopf schief. »Wenn ich an Krebs sterben würde, entsetzliche Schmerzen hätte und dich bitten würde, mich umzubringen, würdest du es tun?«
    Allie zögerte nicht einmal. »Ja«, bestätigte sie. »… und danach mich selbst …«
    Cam blieb der Mund offen stehen. »Weil es Mord gewesen wäre?«
    »Nein«, korrigierte Allie. »Weil du dann nicht mehr da wärst.«
    Mia legte ihre Zahnbürste am Waschbeckenrand ab und starrte auf den Arzneimittelschrank. Sie hatte das schon bei anderen Leuten gemacht – einen Blick hinein gewagt –, aber das hier war etwas anderes. Hier handelte es sich nicht um einfache Neugier, sondern um das brennende Verlangen, das Puzzle zu einem Bild zusammenzufügen. Trotzdem kam es ihr absolut falsch vor, in die Intimsphäre einer Frau einzudringen, die solche Mühen auf sich genommen hatte, um ihr an einem einzigen Tag sowohl Job als auch Obdach zu verschaffen.
    Mia öffnete die Schranktür und beobachtete, wie ihr Spiegelbild schmaler wurde, zur Seite klappte und dann den Blick auf wohlgeordnete, gläserne Regalfächer freigab.
    Schmerztabletten, Jod und Brechmittel. Gazeverbände, Pflaster und Parfüm von Laura Ashley. Deodorant und ›Brut‹ Aftershave. Ein Kaolin-Pektat-Präparat gegen Durchfall.
    Die einzige rezeptpflichtige Medizin, die sie fand, war eine Art Penicillin. Und natürlich die Antibabypillen.

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