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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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krabbelnde Allie vor sich, die sich an Cams Hemd festklammerte, um sich daran hochzuziehen. »Wart ihr schon in der High-School ein Paar?«
    Allie schüttelte den Kopf. »Nein, ehrlich gesagt sind diese gräßlichen Gestecke, die du für die Bücherei gemacht hast, für eine Veranstaltung zu Ehren von Cams ehemaliger Freundin.«
    Jetzt lächelte Mia. »Offengestanden hast du es am Ende besser getroffen.«
    »Das«, erwiderte Allie, »will nicht viel heißen.« Sie begann, die Blätter auf einer Seite des Baumes abzuknipsen, so wie Mia es ihr vorhin gezeigt hatte. Dünnes Licht sickerte durch die hohen Fenster und betupfte den Fußboden. »Natürlich kenne ich Cam schon aus der High-School; aber er hat damals nichts von mir gewußt und mich auch nie bemerkt. Ich meine, jeder kannte Cam. Er war in Schottland auf dem College und ist danach ein bißchen herumgereist; als dann sein Vater starb, kam er zurück nach Wheelock.«
    Am Abend zuvor hatte Allie Mia die eigenartige Erbfolge in Cams Familie erklärt, die bis in die schottischen Highlands zurückreichte. »Ich habe ihn in einem Werkzeugladen aufgegabelt«, sagte sie und schnitt einen Ahornzweig ab, der zu dicht über der Wurzel sproß, »wo ich ihn bewußtlos schlug.«
    Sie war beim Holzkaufen gewesen. Mit genauen Instruktionen versehen, wollte sie sich eigenhändig aus mehreren fünfzehn mal fünf Zentimeter starken Brettern einen Arbeitstisch zimmern. Cam, der eben erst wieder in den Ort zurückgekehrt war, hatte hinter ihr gewartet. Als Allie in ihrer Geldbörse nach den passenden Münzen kramte, das Holz unsicher auf einer Schulter balancierend, vernahm sie hinter sich Cams Stimme. »Ich hätte Kleingeld«, bot er ihr an. Sie hatte sich umgedreht, um es entgegenzunehmen, dabei versehentlich die Latten herumgeschwungen und ihn damit genau am Schädel getroffen.
    Als er aufwachte, lag sein Kopf in ihrem Schoß, und hinter seinen Augen dröhnte es wie wild; doch abgesehen von einer leichten Gehirnerschütterung war ihm nichts passiert. Wenn Cam diese Geschichte erzählte, fügte er gerne hinzu, daß er schon bei seiner ersten Begegnung mit Allie Sterne gesehen hätte.
    Allie zuckte mit den Achseln nach Abschluß dieses Berichts; es war ihr ein wenig peinlich, so ausführlich über sich selbst zu sprechen. Mia saß am Arbeitstisch, das Kinn in die Hand gestützt. Unter ihren Ellbogen lagen Haufen von japanischen Ahornblättern, manche groß wie eine Faust. »Du erinnerst mich an meine Mutter«, bemerkte Mia.
    Allie lachte. »Weil ich dir Frühstück gemacht habe?«
    Mia schüttelte den Kopf. »Nein, dafür war ich immer selbst zuständig. Weil du so aussiehst wie sie, wenn du über deinen Ehemann sprichst.« Sie dachte an ihre Eltern und daran, wie sie Geschichten erzählten: Meist saßen sie nebeneinander, unterbrachen einander ständig, und ihre Hände flatterten hoch und umeinander herum wie Schmetterlinge im Liebesspiel, bis sie auf dem Knie des anderen zur Ruhe kamen.
    »Und erinnert dich Cam an deinen Vater?«
    Mia sah Cams Hand vor sich, die auf der karierten Tischdecke lag, und die leuchtende Linie rötlicher Haare, die ihm genau bis an den Kragen reichten. Sie versuchte sich Allie in seinen Armen vorzustellen, Allie unter seinem massigen Körper, doch es gelang ihr nicht. »Nein«, antwortete sie.
    Graham MacPhee drang nie zu den Scheidungen vor. Nachdem er vor vier Jahren seine Anwaltszulassung für Massachusetts erhalten hatte, war er in die Kanzlei seines Vaters eingestiegen und hatte sich damit den zweifelhaften Titel eingehandelt, der zweite Anwalt an einem Ort zu sein, der höchstens einen brauchte. Sein Vater, seit vierzig Jahren Wheelocks Verteidiger, dilettierte auf allen Gebieten: Testamente, Immobilien, Verträge, Bankrotte, Nachbarschaftszwiste, Beleidigungsklagen.
    Obwohl Graham schon mit der Staatsanwaltschaft Straferlasse ausgehandelt und ein paar Zivilklagen durchgefochten hatte, behielt sich sein Vater die schwierigen Ehedispute und zweifelhafteren Fälle stets selbst vor. Sagte, es sei eine Frage der Erfahrung, worauf Graham erwiderte, wenn er nie zum Zug käme, würde er die verdammte Erfahrung auch nie kriegen. Er wollte endlich sein Recht!
    Gerade hockte er über einer Schadensersatzklage, als die Glocke an der Eingangstür erklang. Cleo, die Anwaltsgehilfin und Sekretärin, war nicht an ihrem Platz, deshalb marschierte Graham persönlich zum Empfang. Beim Aufstehen fegte er versehentlich die Schadensersatz-Akte vom Tisch, deren Papiere

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