In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
aufgewirbelt, daß jeder, der unter Umständen zu Verona MacBeans Lesung aus ihrem Buch über die Hölle gekommen wäre, diese Veranstaltung komplett vergaß. Infolgedessen hatte der Freundeskreis der Bücherei die Lesung wohlweislich um einen Tag verschoben und Allie gebeten, die drei Sträuße über Nacht in ihrem Kühlregal aufzubewahren. Und weil Allie sich einverstanden erklärte, ohne Aufpreis übrigens, hatte ihr Verona persönlich zwei Eintrittskarten für das große Ereignis geschickt.
Es waren kleine, goldbedruckte schwarze Kärtchen. »Wheelocks Tochter Verona MacBean«, war darauf zu lesen, »liest aus ihrem vielgerühmten Buch Verdammnis in den Neunzigern: Einmal Hölle und zurück « . Natürlich hatte Allie Cam eine Eintrittskarte angeboten, aber der bedankte sich nur höflich. Selbst wenn er die nötige Zeit hatte, kostete es ihn höchstens ein Lächeln, eingelassen zu werden; das gehörte zu den Vergünstigungen eines Polizeichefs. »Vielleicht treffen wir uns dort«, hatte er gesagt, während er sich am Morgen die Socken anzog. »Ich würde gern mal sehen, was aus Verona geworden ist.«
»Dann suche ich mir eben jemand anderen«, hatte sie gescherzt. »Es gibt in dieser Stadt haufenweise Männer, die mich liebend gern zu einer Lesung über die Hölle begleiten würden.«
Cam lachte. »Hast du Angus schon gefragt?«
Allie warf den Kopf zurück. »Wer sagt denn, daß es Angus sein muß? Vielleicht nehme ich ja Jamie mit.«
Diese Antwort saß! Mit dunklem Blick hatte Cam zu ihr aufgesehen. Sie bekam Angst, daß er wütend werden oder ihr schlicht verbieten könnte, zu der Lesung zu gehen, doch statt dessen nickte er bloß. »Vielleicht solltest du das«, hatte er ihr zugestimmt.
Allie bremste vor der Bücherei ab und parkte in einer Lücke am Straßenrand. Sie trat ein, reichte der Dame vor dem Saal ihre Karte und drehte sich dann zu Jamie um, um ihn zu fragen, wo er sitzen wollte. Verlegen stand er vor der Frau, die sich gerade anschickte, davonzumarschieren.
»Entschuldige«, sagte Allie, nahm Jamie die Eintrittskarte aus der Hand, riß sie ab und führte ihn dann zu den Stuhlreihen. Sie tippte der Frau auf den Rücken. »Gibt es irgendein Problem?«
Die Frau warf einen Blick auf Jamie und sah dann wieder weg. »Ich finde es nicht richtig, daß er hier ist«, murrte sie so laut, daß sich die Leute nach ihnen umdrehten.
»Mein Cousin ist von keinem Gericht verurteilt worden«, verkündete Allie. »Er ist Gast in diesem Ort.«
»Das heißt nicht, daß uns das gefallen muß.« Allie drehte sich um und blickte in das grimmige Gesicht von Jock Farquhason, einem dürren, kleinen Bankangestellten.
»Gehen wir!« Jamie zupfte Allie an ihrem Sweaterärmel.
»Auf gar keinen Fall«, zischte sie. Sie führte Jamie an einen Tisch ganz vorn. Innerhalb weniger Minuten füllte sich der Saal, und obwohl einige Besucher Jamie im Vorbeigehen zunickten, setzte sich niemand zu ihnen – auch wer nicht den ersten Stein werfen wollte, wollte deshalb noch lange nicht aus Mitleid an einem Tisch mit einem Mörder zusammentreffen.
Allie wußte nicht, daß Cam alles mitbekommen hatte. Er lehnte im Hintergrund an der Betonwand, wo er sich entschieden wohler fühlte als auf einem Stuhl neben Jamie MacDonald, im Blickfeld von ganz Wheelock. Der Polizeichef hätte diesem Arschloch Farquhason die Meinung sagen können, doch dazu verspürte er weder Kraft noch Lust. Wenn Jamie MacDonald gewinnen wollte, mußte er nach denselben Regeln antreten wie alle anderen.
Als das Licht erlosch und Verona MacBean in voller Glorie auf das Podest trat, konnte sich Cam ein Lächeln nicht verkneifen. Die Frau in dem konservativen schwarzen Kostüm und mit dem strengen Haarknoten hatte nichts mit der kleinen heißen Braut gemein, die früher oft mit ihm nach dem Unterricht im Umkleideraum der Jungen verschwunden war. Er versuchte, sie mit den Augen auszuziehen, stellte sich dabei die sahnige Haut und die fließenden Kurven vor, die ihn während der High-School in einem kontinuierlichen Zustand der Halberektion gehalten hatten; doch Veronas Gesicht und Körperformen verschwanden immer wieder hinter Mias ängstlichen Augen und den zarten Knochen ihres Rückens.
Er drehte sich um und ging, bevor Verona auch nur zur Begrüßung ansetzte.
In einer Umfrage aus dem Jahr 1994, begann Verona, hätten sechzig Prozent der Amerikaner angegeben, an die Hölle zu glauben. 1956 seien es erst vierundfünfzig Prozent gewesen. In der Religion,
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