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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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übrig; aber sie wußte, daß dies die einzige Umgebung war, in der Cam nicht eingeengt oder seiner Energie beraubt wirkte. Deshalb ließ sie sich ungern eine Gelegenheit entgehen, ihn in seinem Element zu beobachten.
    »Allie«, Cam zupfte an der Leine, um sie auszuprobieren, »das Wasser ist hier höchstens zwei Meter tief. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.« Er lächelte sie an und reichte ihr die Fliegenrute. »Also los«, forderte er sie auf.
    Selbstverständlich wußte er, daß Allie sich ungern im Freien aufhielt. Verflucht, ihr Beruf bestand darin, die schönsten Schmuckstücke abzuschneiden, die die Natur hervorgebracht hatte, und sie so zu arrangieren, daß sie sich gut auf einem Eßtisch machten.
    Es war ein strahlend schöner Tag; die Sonne stand hoch am klaren Himmel und tanzte über dem Wasser, die Schmeißfliegen hatten sich verzogen, die Berge am Horizont sahen aus wie auf einer Postkarte.
    Cam warf einen Blick auf Allie, die behutsam die Schnur um ihren Zeigefinger wickelte, so wie er es ihr gezeigt hatte. Wenn sie das öfter machte, würde sie ebenfalls ihr Herz daran verlieren. Das hing einfach davon ab, wie oft man sich damit beschäftigte.
    Gedankenverloren sah er zu, wie sie die Schnur auszuwerfen begann, wobei sie unangenehm dicht an einem Gestrüpp vorbeizog, und malte sich aus, wie er sie mitnehmen würde, wenn er Enten jagen, Eisfischen oder über den Wheelock-Paß wandern ging. Er stellte sich vor, wie ihre Beine kräftig und braun wurden, wie das zuckende Flackern eines Lagerfeuers ihr Gesicht erhellte. Er fragte sich, wie lange es dann noch dauern würde, bis sie Madagaskar sehen wollte, oder Kreta oder die Rockies. Er spielte mit dem Gedanken, einfach eine Reise zu planen – Allie würde mitkommen, wenn er sie darum bat, das wußte er –; doch natürlich wollte er nicht mitansehen, wie sie aus einem winzigen, beschlagenen Flugzeugfenster starrte und sich wünschte, sie wäre daheim.
    Er fragte sich, ob es sie störte, ihn jeden Tag seines Lebens so zu sehen.
    »Ich habe was«, sagte Allie, und ihre Stimme hüpfte mit dem leichten Schaukeln des Bootes. »Könnte sein, daß was dran ist.«
    Cam sah das Wasser Wellen werfen, als der Barsch mit ihrer Angelschnur im Maul davonschwamm. Er gab Allie mit leiser, fester Stimme Anweisungen, sagte ihr, wann sie dem Fisch Leine lassen und wann sie ganz sanft Schnur einholen mußte. Als der Barsch in den brackigbraunen Wasserschichten in Sicht kam, beugte sich Cam vor und zog das Netz aus seinem Gürtel.
    »Jetzt lehn dich zurück«, wies er Allie an, schob sie zur Seite und hob ihre Hand an, um den Fisch näher ans Boot zu holen. Er tauchte das Netz halb ins Wasser und sah den Fang hektisch mit dem Schwanz gegen die Nylonmaschen schlagen. »Ein toller Fisch«, sagte er in der Hoffnung, Allies Begeisterung zu wecken. »Das ist einer der größten Barsche, die ich je in diesem See gesehen habe.«
    »Wirklich?« juchzte Allie. Sie lockerte ihren Griff um die Angel und ging auf der gleichen Seite wie Cam in die Hocke, um ihre Beute im Netz zu betrachten. »Sieh dir seine Augen an«, sagte sie, streckte die Hand aus, um ihm über den schuppigen Kopf zu streichen, und in diesem Augenblick kenterte das Kanu.
    Allie kam augenblicklich wieder hoch, nach Luft schnappend und Wasser tretend und entsetzt bei dem Gedanken an all das schleimige Ungetier, das am Grunde eines verschlammten Tümpels wie dem hier leben mochte. Zu ihrer Überraschung war alles um sie herum vollkommen finster; einen Moment lang fragte sie sich, ob sie sich den Kopf angeschlagen hatte und blind geworden war, bis ihr plötzlich aufging, daß sie sich unter dem gekenterten Kanu befand.
    Schon wollte sie wieder abtauchen und weiter nach draußen schwimmen, um nach Cam zu suchen, als sie ihn lachen hörte. Es war kein fröhliches Lachen, kein ›Wie konnte uns das nur passieren-Lachen, sondern ein bauchiges Grölen, das eindeutig auf ihre Kosten ging. Er lachte über sie, weil sie durch ihren Übereifer und ihre Dummheit das Kanu zum Kentern gebracht hatte. Sie zog eine Braue hoch, packte die Reling des Kanus und ließ sich treiben. Dann atmete sie langsam und tief durch. Das sollte er ihr büßen!
    Cam fand es zum Brüllen komisch. Oh, sie würde sich schwarz ärgern; zischen und sich schütteln wie eine nasse Katze, davon war er überzeugt. Aber wenn sie ihr Gesicht gesehen hätte, kurz bevor ihr aufging, daß sie ins Wasser fallen würde … Er wischte sich die Augen trocken

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