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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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und unterdrückte seine Heiterkeit, als ihm aufging, daß Allie verschwunden blieb.
    »Allie«, rief er und drehte sich einmal im Kreis, um festzustellen, ob er sie irgendwie übersehen hatte. »Allie!« Seine Augen tasteten die Baumstümpfe ab, die neben dem Boot dümpelten, dort, wo Allie ins Wasser gefallen war, dicht neben einer Insel von Seerosen – deren Wurzeln, wie er wußte, sich um das Bein eines Schwimmers schlingen und ihn nach unten ziehen konnten.
    Cams Puls begann im Takt mit dem Pochen in seinem Kopf zu dröhnen. Sie war eine gute Schwimmerin, aber das zählte nicht, wenn man ohnmächtig war. »Allie!« brüllte er. Seine Stimme drang über die glatte Oberfläche und klang vollkommen fremd in seinen Ohren. »Allie!«
    Er ließ sich hinunter und öffnete die Augen in der schmoddrigen Brühe, doch er konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Mit den Füßen tastete er den Teichgrund ab, in der Hoffnung, auf etwas zu stoßen, nach dem er tauchen konnte. Seine Zähne begannen zu klappern, und das Herz gefror ihm in der Brust.
    Allie tauchte keinen Meter von ihm entfernt wieder auf.
    »Herr im Himmel!« explodierte er. »Verflixt und zugenäht!« Er schwamm mit einem kräftigen Zug auf sie zu, preßte sie an sich und brachte sie dann halb schwimmend, halb ziehend in flacheres Wasser, wo sie beide stehen konnten.
    Als er sie auf die Füße stellte, zitterte er immer noch. Er umarmte sie so fest, daß sie ihre Rippen an seiner Haut spüren konnte. »Du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt«, erklärte er mit rauher Stimme, erschüttert darüber, wie vehement er reagiert hatte und wie stark seine Angst gewesen war. »Ich habe mich fast zu Tode gesorgt.«
    Er hielt sie vor sich hin, strich über ihre Stirn, über die sich ein Schlammring zog; und über ihr Haar, in dem nasses Laub und eine seiner Fliegen hingen. Dann hob er ihr Kinn und sah ihr ins Gesicht. »Tu das nie wieder«, murmelte er.
    Sie wollte ihm erklären, daß alles nur ein Spaß gewesen war, daß es sie gestört hatte, wie er über sie gelacht hatte; doch Cam hielt sie umklammert und starrte sie an, als wollte er sich ihr Gesicht einprägen – so, als hätte er plötzlich in die dunkle Schlucht eines Lebens ohne sie geblickt.
    Jamie MacDonalds Worte kamen ihr in den Sinn: Siebzig zu dreißig.
    Cam sah sie so an, begriff sie, wie sie ihn immer ansah. Fasziniert legte sie die Hand auf seine Wange und fühlte ihn bibbern. »Bestimmt nicht«, versprach sie und wühlte ihre Hand in sein klatschnasses Hemd, als könnte sie so diesen Augenblick für immer festhalten.

6
     
    Jamie MacDonald hielt Ausschau nach Engeln. Gestern war er den ganzen Tag durch einen Souvenirladen geschlendert, wo er sich viktorianisch anmutende Karten heraussuchte und die pausbäckigen Cupidos und ätherischen silberhaarigen Mädchen in gefältelten klassischen Gewändern begutachtete. Er hatte sie genau in Augenschein genommen, auf der Suche nach irgendeiner Ähnlichkeit, aber keine Spur von Maggie bei ihnen gefunden.
    Klar, daß sie zu ihm kommen würde! Dies stand genauso fest wie sein Warten auf sie, nötigenfalls bis in alle Ewigkeit. Manchmal schloß er die Augen und roch in der Luft den Maiglöckchenduft, der Maggies Kleider durchdrungen hatte; das frische Honigaroma ihres Haars. Er stellte sich vor, wie sie in einem weißen Rollkragenpullover und einem weiten weißen Rock vor ihm stand und wie über ihre Schultern daunigweiche Federn strichen, die ihr bis auf den Rücken reichten.
    Er wartete darauf, daß Graham MacPhee aus seinem verdammten Büro auftauchte. Es sah nicht so aus, als hätte der Mann noch mehr Klienten; deshalb begriff er nicht, wieso er warten mußte. Jamie warf einen Blick auf Allie, seine inoffizielle Anstandsdame in Wheelock, die in aller Ruhe eine Haus-und-Garten-Zeitschrift las, aus der die meisten Kochrezepte herausgeschnitten waren.
    Als würde sie seinen Blick spüren, hob sie den Kopf. Mit einem zuversichtlichen Nicken lächelte sie ihn an.
    Allie hatte ihn zur Post begleitet, in den Supermarkt, zur Reinigung. Sie hatte ihm den Weg in den Videoverleih und in den Friseursalon geebnet, die beide von Menschen geführt wurden, die nur mit Mühe verbergen konnten, daß sie Jamie für einen Schandfleck in einer anständigen Gemeinde hielten. Und auf der Bank lotste sie ihn zu einem Schalterbeamten, der Jamie mit Mondaugen angeglotzt und ihm erklärt hatte, er sei ein Heiliger; anschließend zu der Kellnerin im Café, die ihn auf die Wange geküßt

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