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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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auf, um die mühsame Arbeit zu vollenden. Deshalb wandte sich Cam auch nicht ab oder versuchte sich zu verstecken, als er die Straße vom Revier herunterkam und dabei mehreren Familien begegnete, die auf dem Weg zum Abendessen ins Café waren. Er steckte einfach den schlaffen Strauß in seine Jackentasche, lächelte Geordie MacDonald sowie Sarah Murray zu und nickte, ja, es werde dieses Jahr ungewöhnlich früh kalt.
    Mia hatte abgesperrt, Cam mußte also klopfen. Das überraschte ihn; immer wieder bläute er Allie ein, die Tür abzuschließen, worauf sie schlicht erwiderte, sie gebe kein lohnendes Ziel ab. Falls durch irgendeinen Zufall tatsächlich einmal ein Dieb seinen Fuß in diesen Ort setzen sollte, würde er sich nicht gerade einen Laden aussuchen, der kaum Beute versprach. Bis Mias kleines Gesicht in einer Fensterscheibe erschien, hatte Cam es beinahe geschafft, diesen letzten Gedanken an Allie aus seinem Kopf zu verbannen.
    Sie trug Jeans, die ausgesprochen weich aussahen, und ein weißes Männerhemd, dessen Ärmel sie bis zu den Ellbogen hochgerollt hatte. Einen irrationalen Augenblick lang wollte Cam sie an der Schulter packen und sie auffordern, ihm zu verraten, wem das Hemd gehörte. Doch statt dessen lächelte er und zog das winzige Bukett aus seiner Tasche. »Ich habe deine Blumen gekriegt«, sagte er.
    Ihr Gesicht war blaß wie der Kragen ihres Hemdes, aber dadurch wirkten ihre Augen um so ausdrucksvoller. Heute leuchteten sie wie Saphire und erinnerten ihn an die Kronjuwelen der Königin. Er löste seinen Waffengurt und legte ihn vorsichtig neben der Kasse auf die Theke. Als er sich umdrehte, stand sie einen Schritt vor ihm. »Woher willst du wissen«, fragte sie leise, »daß ich dir nicht gefährlich werden kann?«
    Er setzte sich auf eines von Allies Sofas, die er eigenhändig aus dem Transporter eines Cousins gewuchtet hatte, nachdem sie Allie auf einem Flohmarkt in einem Ort jenseits der Berge ins Auge gestochen waren. Auf dem Beistelltischchen stand das elegante Porzellanteeservice neben einer größeren Vase mit den gleichen Blumen, die sie an seine Windschutzscheibe geklemmt hatte.
    »Hübsch«, sagte er, während er über ein Stiefmütterchen strich. »Und sie riechen nach Frühling.«
    Mia setzte sich Cam gegenüber auf die Couch und zupfte einen Zweig aus dem Strauß. »Apfelblüten«, sagte sie. »Man bekommt sie kaum im Oktober.« Sie besah sich die Blüten, die spiralig um den Zweig wuchsen. »Wenn man an Heiligabend einen Apfel in zwei Hälften schneidet, die linke Hälfte am Herzen trägt und die rechte Hälfte vor die Haustür legt, wird man um Mitternacht angeblich den Menschen, nach dem man sich sehnt, in der Nähe der zweiten Hälfte finden. Hast du das gewußt?«
    Cam sah zu, wie sie gedankenverloren die Rinde von dem Zweig schälte. »Und – schon mal ausprobiert?«
    »Nein«, antwortete Mia. »Ich habe es nur gehört.«
    »Woher weißt du, welche welche ist?«
    »Wie bitte?«
    Cam berührte einen Zweig nahe bei seinem Ellbogen. »Was die linke und was die rechte Hälfte eines Apfels ist?«
    Mia zog die Brauen hoch. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich hängt das davon ab, wie man's sieht.« Sie fuhr mit dem Finger über den Rand einer Teetasse, machte aber keine Anstalten, Tee einzuschenken oder Cam auch nur zu fragen, ob er welchen trinken wolle. Er sah ihre Knie wippen, weil sie mit den Füßen auf den Boden klopfte, und begriff, daß sie noch nervöser war als er selbst.
    Plötzlich schoß sie hoch und ging an ihm vorbei zum Kühlregal. Von seinem Platz aus konnte Cam sehen, wie sich ihr Gesicht im Glas spiegelte. Ihre Züge sahen so müde aus, als könnte die leiseste Mundbewegung das ganze Gesicht zerfallen lassen. »Während meiner Reisen«, sagte sie, »habe ich so viele Informationen wie möglich über Blumen gesammelt. Auf Korfu trägt man Sonnenblumen als Hüte. Und in Frankreich benutzen die Bäuerinnen Clematis als Wäscheleine.« Sie fuhr mit der Hand über die kühle Front des Glasregals und klammerte sich an dessen Rahmen wie eine Ertrinkende. »Hast du gewußt, daß Allie auch frische Kräuter hat? Hier steht Basilikum. Früher war das ein Symbol für Haß.« Sie drehte sich hastig um und bot Cam, der hinter sie getreten war, einen duftenden, abgebrochenen Stengel an. Er nahm ihn entgegen, legte ihn auf der Couchlehne ab und schloß dann seine Finger über ihren.
    Mia löste sich aus seinem Griff und verschränkte die Arme vor der Brust. »In Rumänien hingegen«,

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