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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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und mit wilden gelben Augen schwenkte eine Beretta.
    Er stolperte auf Jamie zu, der sich auf seinen Hocker drückte und erbleichte. Im Hintergrund begann Elizabeth Frasers Baby zu weinen. »James MacDonald«, zischte der Mann, »niemand außer Gott hat das Recht, ein Leben zu nehmen.« Er löste den Sicherungshebel an seiner Kanone.
    Cam stand auf und zog blitzschnell seine Pistole aus dem Halfter. »Polizei«, schnarrte er, für den Fall, daß der Wahnsinnige die deutlich sichtbare Marke und Uniform nicht wahrgenommen hatte. »Lassen Sie die Waffe fallen.«
    Der Blick des Mannes war starr auf Jamie gerichtet. »Nein«, krächzte er. »Ich bin berufen, dies zu vollbringen.«
    Cam warf einen Blick über die Schulter und gab den anderen Gästen ein Zeichen, langsam durch die Tür nach draußen zu verschwinden. »Was zu vollbringen?« fragte er ruhig. »Jamie ans Leben zu gehen? Ich dachte, das stünde allein Gott zu.«
    »Ich bin ein Werkzeug Gottes«, verkündete der Mann.
    »Natürlich«, brummte Cam. Er räusperte sich. »Sie können ihn erschießen«, sagte er, ohne auf Jamies ergebene Miene zu achten, »aber danach sind Sie dran!«
    Falls dem Mann diese Konsequenz zu denken gab, ließ er sich das nicht anmerken. Er stürzte auf Jamie los, Bibelsprüche brüllend, die von ›Mörder!‹-Schreien durchsetzt waren. In jenem Sekundenbruchteil, der sich in einem Augenblick der Gefahr so unendlich in die Länge zieht, begriff Cam, daß Jamie nichts zu seiner Verteidigung unternahm. Jamie sah dem Mann ins Gesicht und wartete darauf, daß dieser Wahnsinnige ihn aus nächster Nähe erschoß.
    Cam sprang den Mann an, packte sein Handgelenk und riß es nach oben, so daß der Schuß in der Decke landete und der Putz auf Jamie herabregnete. Er rang den Apostel nieder, bog ihm die Arme auf den Rücken, damit er die Handschellen anlegen konnte, und zischte ihm die Belehrung über seine Rechte ins Ohr.
    Der Koch trat sichtlich mitgenommen aus seinem Reich und deutete auf die durchlöcherte Decke. »Und wer zahlt mir das?« jammerte er.
    »Besprechen Sie das mit dem Bürgermeister«, schlug Cam vor und zerrte seinen Gefangenen auf die Füße. »Mitkommen«, befahl er.
    Jamie stand von seinem Hocker auf. Der Mann spitzte die Lippen und spuckte Jamie an, so daß links auf seinem Hals ein Speichelfladen landete. »Ich habe vielleicht ein Leben genommen«, sagte Jamie leise zu dem Mann, »aber das war kaum mehr eines.« Dann sah er zu Cam auf. »Danke!«
    Das Mitgefühl, das er eben noch für Jamie MacDonald empfunden hatte, war verflogen; Cam hatte sogar vergessen, daß er sich über der Morgenzeitung zu etwas Konversation mit ihm aufraffen wollte. Er hatte den Moment vergessen, in dem er blitzartig begriff, daß Jamie sich verblüffenderweise über diesen Angriff aus heiterem Himmel zu freuen schien. Plötzlich sah er nur noch das Gedränge vor der Tür und den gesenkten Kopf des schluchzenden Psychopathen. Und er spürte nur noch sein Herz, das Adrenalin durch die Adern pumpte, fast als würde er Mia lieben. Cam sah Jamie wütend an und richtete seinen Zorn auf ein neues Ziel. »Wenn das noch mal vorkommen sollte«, meinte er hitzig, »lasse ich ihn schießen.«
    Cam saß in Boxershorts auf dem Sofa im Blumenladen und las eine drei Tage alte Zeitung, die einen Wurzelballen eingehüllt hatte. Mia war losgegangen, um ihnen etwas zu essen zu besorgen – selbst Romeo und Julia hatten ihrer Ansicht nach zwischendurch mal was zu sich genommen. Die erste Seite fehlte, also überflog er die Kurzmeldungen aus aller Welt, jene winzigen Berichtsfetzen, bei denen man sich jedesmal fragte, was alles ausgelassen worden war.
    Vor Alaska war ein Öltanker gesunken; die IRA hatte sich zu einer Bombe vor einem Postgebäude in Devonshire bekannt; und auf einem amerikanischen Armeestützpunkt bei Fulda in Deutschland hatte ein GI den Liebhaber seiner Frau geköpft.
    Jetzt zog Cam die Zeitung näher. Der Soldat hatte seine Frau als Ehebrecherin verdächtigt, seinem Rivalen den Kopf abgehackt und in einer Plastiktüte neben dem Krankenbett seiner Frau abgestellt. Diese lag gerade in der Klinik, weil es Komplikationen bei ihrer Schwangerschaft gab.
    Der Soldat hatte sich widerstandslos festnehmen lassen. Die enthauptete Leiche des Nebenbuhlers war in einer Telefonzelle auf einem Flughafen der Air Force gefunden worden.
    Cam stand auf, verließ das Sofa und trat dabei auf die zerknüllte Zeitung, die zu Boden gefallen war. »Scheiße«, murmelte er.

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