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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Welt war nicht zu erschüttern. Zugegeben, diesen Platz hatten ihm seine Vorfahren bereitet, und er gehörte in ein Leben, das Mia grundsätzlich ausschloß; doch für jemanden, der seit seiner Kindheit nie wirklich ein Zuhause besaß, war eine solche Verbundenheit wie ein in der Ferne schimmernder Hafen.
    Jeden seiner Titel sah sie als weiteres Seil, das Cam fest im Boden verankerte: Clanchef, Polizeioberster, Freund, Vertrauter. Man konnte jeden im Ort fragen, wer Cam war, und jeder wußte eine Antwort: Mein Cousin. Der Laird von Carrymuir. Mein Mann.
    Mia schob Kafka von ihrem Schoß und rollte sich zusammen. Sie schloß die Augen und vergewisserte sich, daß sie Cams Bild noch so vor sich hatte wie vorhin dort in der Kirchentür: mit seinem windzerzausten Haar, der über die Schulter flatternden Krawatte, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt, als könne er tatsächlich gegen seine Gefühle ankämpfen.
    Es hatte keinen Sinn, es noch länger hinauszuschieben. Mia stopfte ihre Sachen in den Rucksack und wickelte ihren alten Bonsai in ein Oxford-Shirt mit angeknöpftem Kragen, so daß er oben Luft zum Atmen hatte. Dann schaltete sie den Fernseher aus und das Licht, zog die Jalousien zu, bis es vollkommen dunkel im Zimmer war. Aufmerksam lauschte sie den Geräuschen, die durch den Teppichboden drangen – wie der Hotelportier einen Schlüssel aus einem Fach holte, das Schleifen der schweren Eingangstür, die eben aufging, das Quietschen des ungeölten Rades am Gepäckkarren des Pagen. Sie wartete, bis diese Laute in einem Hintergrundsummen untergegangen waren, damit sie die nur zu ahnenden Geräusche einer plötzlich grau gewordenen Welt wahrnahm. Dann setzte sich Mia an den Tisch, einen Hotelbriefbogen vor sich, den sie kaum sehen konnte, und begann zu schreiben. Als sie das Gefühl hatte, ihm alles gegeben zu haben, was sich in ihrem Herzen auftürmte, versiegelte sie den Umschlag, schnappte sich die Katze und schloß die Tür hinter sich ab.

 Z WEITER T EIL  
     
    »Die Sünde wird durch Gnade frecher nur«
    Shakespeare, Timon von Athen

 
     
    Hast du gewußt, daß ich ein Bild von dir mit mir herumtrage? Ich habe es nicht selbst aufgenommen; es ist Monate später irgendwie in meinen Besitz gelangt. Du stehst im Hintergrund – jemand hat etwas anderes fotografiert, und du warst zufällig in dem anvisierten Ausschnitt. Du sitzt unter einem Baum, trägst ein riesiges Sweatshirt, und deine Knie sind angezogen, um ein Buch zu halten. Doch du liest nicht, sondern blickst in die Kamera.
    Du bist ein bißchen verschwommen auf dem Foto, aber es gefällt mir trotzdem. Du trägst dieses wissende Lächeln auf dem Gesicht, als wäre dir klar, daß du auf einem fremden Foto erscheinst – was für dich nicht die geringste Rolle spielt. Dieses Lächeln – genau das fesselt mich so an diesem Bild. Es um faßt die verschiedensten Dinge, an die ich denken muß, wenn du mir einfällst. Es zeigt, daß du glücklich bist, du dich konzentrierst, Neugierde verspürst. Vor allem jedoch zeigt es jemanden, den ich geliebt habe.
    Ich erinnere mich so gut an dich.

9
     
    Als Allie Pauline Cioffi erzählte, daß Maggie MacDonald gestorben war, kniff Pauline die Augen zusammen, so als könnte sie, indem sie Allie aus ihrem Blickfeld verbannte, auch die Hiobsbotschaft ungeschehen machen. Als sie die Augen wieder aufschlug und Allie immer noch vor ihr stand, grub sie die Zähne in die Unterlippe und nickte knapp, bevor sie sich abwandte. »Tja«, erklärte sie stoisch, »das war zu erwarten.«
    Allie ließ sich erst ins Haus führen, ehe sie Pauline berichtete, daß Jamie angeklagt war, seine Frau umgebracht zu haben. Sie rechnete mit einer weiteren Verweigerungsgeste, vielleicht sogar einem Zornesausbruch; doch Pauline zog lediglich ein Paar Socken aus einem Stapel jungfräulich weißer Wäsche und knotete sie zusammen. »Wahrscheinlich«, sagte sie, »mußte auch das so kommen.«
    Pauline war Maggies beste Freundin, so stand es wenigstens auf Jamies Liste für Allie. Sie hatten sich bei einem von der Kirche veranstalteten Aerobic-Kurs kennengelernt, während der einzigen drei Stunden in der Woche, die Pauline von ihren Kindern erlöst war. Um diese Entlastung ein wenig zu verlängern, hatte Pauline nach dem Kurs Maggie ins Café eingeladen, und das entwickelte sich zu einer Tradition. Pauline war gebaut wie ein Apfel, und ihr Haus stellte einen Dschungel aus Spielsachen, Stoffwindeln und einzelnen Schuhen dar. Sie bat Allie, in

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