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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht soviel einbrachte.« Pauline schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr gesagt, sie ist verrückt.«
    Allie mußte daran denken, wie Jamie Maggies schlaffen Körper in der Kabine seines Wagens umklammert hielt, damit kein anderer sie berührte. Sie dachte daran, wie ihr jedesmal das Herz im Hals zu schlagen begann, wenn sie die Tür zum Revier aufdrückte, um Cam einen unangekündigten Besuch abzustatten, immer in der Hoffnung, er gebe ein Anzeichen der Freude von sich. »Verrückt«, sinnierte Allie. »Das glaube ich nicht.«
    Cam fuhr mit heruntergekurbelten Fenstern aus Wheelock hinaus und jagte seinen Wagen über Seitenstraßen, als könnte er seiner Schuld entrinnen. Solange der Wind ihn peitschte und die Kälte Finger und Wangen betäubte, war es leichter, Mia zu vergessen. War es leichter, sich auf Allie zu konzentrieren.
    Die Blätter begannen zu fallen – karmesinrot und orange drehten sie wie kleine, steife Ballerinas ihre Pirouetten über die Windschutzscheibe. Bald kam die Zeit des Indian Summer, jene dreiwöchige Spanne im Oktober, wenn jeder, und damit auch sein Bruder, beschloß, die Berkshires zu besuchen, um die Landschaft zu genießen. Einzig in diesem Monat des Jahres war das Wheelock Inn ausgebucht, standen die Menschen im Café bis zur Türe an. Wheelock besaß weder die Eleganz von Great Barrington noch den Charme von Lenox; doch es war einer jener Orte abseits der Route 8, die immer noch malerisch und unberührt wirkten. Der Ruf brachte Probleme mit sich – die Touristen schienen zu glauben, das Ganze sei künstlich entstanden wie etwa die Shaker Town in Pittsfield, weil in einem so niedlichen Dorf unmöglich Menschen leben konnten. Er entsann sich, daß einmal, als er noch ein Kind war, jemand an ihre Haustür geklopft hatte. Höflich hatte seine Mutter den Besucher in seinem perfekten italienischen Anzug und den zweifarbigen Schuhen angelächelt, wie auch die Frau an seinem Arm mit ihrem federgeschmückten Hut und dem Hasenfellmuff. »Wir würden gerne wissen«, hatte der Mann in gequetschtem Long-Island-Akzent gefragt, »ob Sie vielleicht Antiquitäten haben, die Sie gern verkaufen würden?«
    Cam lenkte den Wagen an den Straßenrand und ließ die Stirn aufs Lenkrad sinken. Es ging über seine Vorstellungskraft, wie Hundertschaften von Fremden in einen Ort strömen konnten, der nicht mehr groß genug für Mia, Allie und ihn selbst zu sein schien. Und da zudem dieser verdammte Mordprozeß durch die Zeitungen spukte, würde sich Wheelock garantiert in einen Zirkus verwandeln.
    Der Chief stieg aus dem Wagen, knallte die Tür zu und merkte erst, als er sich aufrichtete, daß er immer noch die Ausstaffierung für einen morgendlichen Kirchgang anhatte. Er hakte den Finger in den Knoten, zog daran und lockerte die Krawatte, öffnete auch den obersten Knopf an seinem Hemd. Dann zog er seine Schuhe und Socken aus und stellte beides auf der Motorhaube ab.
    Zu Hause ging er ständig barfuß, Allies Warnungen vor zugigen Zimmern oder Erkältungen zum Trotz; doch im Freien hatte er seit sieben Jahren immer Schuhe an. Es war damals Anfang Oktober gewesen, genau wie jetzt, und Allie tauchte mit einem Picknickkorb in seinem Büro auf. »Komm schon«, hatte sie gesagt, »an einem so schönen Tag begeht niemand ein Verbrechen.«
    Damals gingen sie seit ein paar Monaten miteinander. Cam hatte Allie recht gern und es sich zur Gewohnheit gemacht, den Sonntagnachmittag Zeitung lesend in Allies Apartment zu verbringen. Ihm war bewußt, daß sie ihn am Altar stehen und ihr einen goldenen Ring anstecken sah, wenn sie ihn anblickte, aber das störte ihn nicht. Heiraten würde er erst dann, wenn es ihm paßte. Man hatte ihn gezwungen, nach Wheelock zurückzukommen und seinem Vater als Polizeichef nachzufolgen; doch niemand würde ihn zwingen können, mit einer Unterschrift den Rest seines Lebens aus der Hand zu geben.
    Allie hatte hinter dem Football-Feld an der High-School picknicken wollen – wahrscheinlich aus einer nostalgischen Verklärung ihrer gemeinsamen Wurzeln heraus, vermutete er –, doch Cam blieb unerbittlich: daß er sich nur mittags frei nehmen würde, wenn sie auf den Picknickplatz fuhren. Wie er nicht anders erwartet hatte, erklärte sich Allie einverstanden, und er hatte sie in einem Streifenwagen zum Wee Loch am Nordrand des Ortes gefahren.
    Er konnte sich noch entsinnen, daß er zu ihr hinübergesehen hatte, als sie an einer Ampel hielten. Damals wünschte er

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