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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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aus, ihn zu einem Interview zu bewegen. Erst als die
Outside
-Sache in Druck gegangen war, gab er mir eine Zusage.
    Als ich ihn dann Mitte Juli am Telefon hatte, bat ich ihn als erstes, mir alles zu erzählen, an das er sich vom Gipfelvorstoß noch erinnern konnte. Er hatte an jenem Tag zu den stärkeren Kunden gehört und sich stets in der Nähe der Spitze des Zuges aufgehalten; die meiste Zeit war er entweder kurz vor oder gleich hinter mir. Adams schien ein ausgezeichnetes Gedächtnis zu haben, und ich war daher besonders interessiert daran, herauszufinden, inwieweit seine Version der Ereignisse mit meiner übereinstimmte.
    Als Adams am späten Nachmittag bei 8 400 Metern vom Balkon abstieg, konnte er mich, wie er sagte, immer noch sehen, etwa 15 Minuten voraus. Ich muß jedoch schneller als er abgestiegen sein, da ich schon bald außer Sichtweite war. »Und als ich dich das nächste Mal sah«, sagte er, »war es schon fast dunkel, und du bist auf der Ebene vom Südsattel, nur 30 Meter von den Zelten weg. Ich hab dich an deinem roten Daunenanzug erkannt.«
    Kurz danach stieg Adams auf ein kleines Flachstück hinab, gleich oberhalb des steilen Eisbuckels, der mir soviel Schwierigkeiten bereitet hatte, und fiel in eine kleine Gletscherspalte. Er schaffte es, da wieder herauszukommen, fiel dann aber in eine zweite, tiefere Gletscherspalte. »Als ich da in der Gletscherspalte lag, hab ich gedacht: ›Das war's jetzt wohl‹«, sinnierte er. »Es hat eine Weile gedauert, aber dann habe ich's doch geschafft, auch aus der herauszuklettern. Als ich raus war, war mein Gesicht mit Schnee verklebt, der gleich zu Eis gefroren ist. Dann sehe ich, wie da jemand links auf dem Eis sitzt, er hat eine Stirnlampe gehabt, und ich bin rübergegangen. Es war zwar nicht stockfinster, aber zumindest so dunkel, daß ich die Zelte nicht mehr sehen konnte.
    Ich bin dann zu diesem Arsch hin und sage: ›Hey, wo sind die Zelte?‹, und der Typ, ich weiß nicht, wer, zeigt da rüber. Und dann sage ich: ›Ja, wußt ich's doch.‹ Dann sagt der Typ irgendwas wie: ›Paß auf! Das Eis hier ist steiler, als es aussieht. Vielleicht sollen wir runtergehen und ein Seil und ein paar Eisschrauben holen.‹ Ich hab gedacht: ›Scheiß drauf. Ich bin jetzt hier weg.‹ Ich mache also zwei, drei Schritte, stolpere und rutsche auf dem Bauch das Eis runter, mit dem Kopf zuerst. Ich bin immer weitergerutscht, und dann hat mein Eispickel sich in irgendwas gebohrt, und ich werde herumgewirbelt. Und dann war ich unten. Ich bin aufgestanden und zu den Zelten weitergewankt, so ungefähr war's.«
    Als Adams mir seine Begegnung mit dem anonymen Kletterer beschrieb und dann, wie er den Eishügel hinuntergeschlittert war, bekam ich einen ganz trockenen Mund und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Martin«, fragte ich, als er fertig war, »kann ich das nicht gewesen sein, den du da draußen getroffen hast?«
    »Also Scheiße, nein!« rief er mit einem Lachen. »Ich weiß nicht, wer das war, aber du bestimmt nicht.« Aber dann erzählte ich ihm von meiner Begegnung mit Andy Harris und wie beunruhigend ähnlich das alles klang: Ich war Harris ungefähr zur gleichen Zeit begegnet, wie Adams dem Unbekannten, und ungefähr an der gleichen Stelle. Der kurze Wortwechsel, der sich zwischen Harris und mir abgespielt hatte, war dem Wortwechsel zwischen Adams und dem Unbekannten auf gespenstische Art und Weise ähnlich. Und dann war Adams mit dem Kopf zuerst das Eis hinuntergerutscht, ganz so, wie ich noch Harris' Rutschpartie in Erinnerung hatte.
    Nachdem wir uns noch ein paar Minuten weiter unterhalten hatten, war Adams überzeugt: »Dann warst das also du, mit dem ich da auf dem Eis die paar Worte gewechselt habe«, sagte er erstaunt und räumte ein, daß er sich geirrt haben mußte, als er mich kurz vor Dunkelheit den Südsattel durchqueren gesehen hatte. »Und ich war's, mit dem du geredet hast. Was bedeutet, daß es ja gar nicht Andy Harris war. Wow! Mann, ich glaube, jetzt schuldest du einigen Leuten eine Erklärung.«
    Ich war erstarrt. Zwei Monate lang hatte ich sämtlichen Leuten erzählt, daß Harris vom Rand des Südsattels in den Tod gestürzt war, obwohl dem überhaupt nicht so war. Ich hatte es
    mit meinem Irrtum für Fiona McPherson unnötig und sehr viel schwieriger gemacht; ebenso für Andys Eltern, Ron und Mary Harris, für seinen Bruder, Davis Harris, und für viele Freunde.
    Andy war ein fast einsneunzig großer Baum von einem Kerl, der über

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