In eisige Höhen
erzählt:
...
betrug die Sichtweite vielleicht einen Meter. Und dann war sie praktisch gleich Null. Ich hatte eine Stirnlampe, und ich fing an, Sauerstoff zu benutzen, um schneller voranzukommen. Ich hatte drei Flaschen dabei. Ich versuchte, schneller zu gehen, aber die Sichtweite war praktisch nicht vorhanden... Es war, als wären einem die Augen genommen worden, man konnte nichts sehen, man war blind. So was ist sehr gefährlich, denn man kann in eine Gletscherspalte fallen, man kann zur Südseite des Lothse hin abstürzen, 3000 Meter senkrecht nach unten. Ich habe versucht, hochzugehen, es war dunkel, ich konnte das Fixseil nicht finden.
Etwa 200 Meter oberhalb des Sattels wurde Boukreev klar, wie aussichtslos sein Unterfangen war. Er kehrte zu den Zelten zurück und, wie er einräumt, hätte sich dabei beinahe selbst verirrt. Wie dem auch sei, es machte keinen Unterschied, daß er seinen Rettungsversuch abgebrochen hatte, da sich seine Teamgefährten längst nicht mehr oben im Gipfelbereich befanden, wohin Boukreev sich aufgemacht hatte – als er seine Suche aufgab, irrte Beidlemans Troß bereits auf dem Südsattel umher, 200 Meter
unterhalb
des Russen.
Als er gegen 21 Uhr im Camp Vier ankam, war Boukreev tief beunruhigt über die 19 fehlenden Bergsteiger; da er aber keine Ahnung hatte, wo sie sich aufhielten, blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu schauen, was passiert. Dann, um 0 Uhr 45, kamen Beidleman, Groom, Schoening und Gammelgaard ins Lager gehumpelt. »Klev und Neal waren total ohne Power und konnten kaum noch sprechen«, weiß Boukreev noch. »Sie sagen mir, Charlotte, Sandy und Tim brauchen Hilfe, Sandy ist ganz nah davor zu sterben. Dann sagen sie mir ungefähre Position von ihnen, wo ich sie finden kann.«
Als Stuart Hutchison hörte, wie die Gruppe eintraf, ging er hinaus und half Groom. »Ich habe Mike ins Zelt gebracht«, erzählt Hutchison, »er war wirklich fix und fertig. Er konnte sich zwar noch recht klar verständlich machen, aber er hat dafür all seine Kräfte aufbringen müssen wie die letzten Worte eines Sterbenden. ›Ihr müßt euch ein paar Sherpas schnappen‹, hat er gesagt. ›Sie müssen Beck und Yasuko holen.‹ Und dann hat er in Richtung der Kangshung-Seite vom Sattel gezeigt.«
Hutchison bemühte sich jedoch vergeblich, ein Rettungsteam zusammenzustellen. Chuldum und Arita – Sherpas in Halls Team, die den Gipfeltroß nicht begleitet hatten und sich auf Camp Vier speziell für einen solchen Notfall bereithielten waren durch eine Kohlenmonoxidvergiftung außer Gefecht gesetzt, die sie sich beim Kochen in einem schlecht gelüfteten Zelt geholt hatten. Und die anderen vier Sherpas in unserem Team waren von der Gipfelbesteigung noch zu unterkühlt und geschwächt.
Nach der Expedition fragte ich Hutchison, warum er nicht, nachdem er erfahren hatte, wo die vermißten Gefährten ungefähr zu finden waren, Frank Fischbeck, Lou Kasischke oder John Taske weckte – oder ein zweites Mal versuchte, mich zu wecken –, um uns für die Bergungsaktion einzuspannen. »Ihr wart ja alle fix und fertig, das war offensichtlich. Deshalb habe ich nicht einmal daran gedacht, euch zu fragen. Ihr wart so weit jenseits jeder normalen Erschöpfung, daß ich mir dachte, wenn ihr bei der Rettungsaktion mitmacht, daß ihr die Situation nur noch verschlimmert – daß ihr da loszieht und schließlich selbst gerettet werden müßt.« Letztlich lief es darauf hinaus, daß Stuart allein in den Sturm zog. Aber ein weiteres Mal brach er seinen Rettungsversuch am Rand des Lagers ab, da er befürchtete, nicht mehr zurückzufinden, falls er sich weiter hinauswagen würde.
Zur gleichen Zeit versuchte auch Boukreev ein Bergungsteam zusammenzustellen. Er sprach deswegen aber weder mit Hutchison, noch kam er in mein Zelt. Die Bemühungen der beiden wurden also zu keinem Zeitpunkt aufeinander abgestimmt, und ich selbst habe von den Bergungsplänen nie erfahren. Am Ende stellte Boukreev, wie Hutchison, fest, daß alle, die er aufwecken konnte, entweder zu krank oder zu erschöpft waren oder Angst hatten. Der Russe beschloß daraufhin, die Gruppe allein ins Lager zurückzubringen. Mutig stürzte er sich in den Schlund des Orkans und suchte beinahe eine Stunde lang den Sattel ab, konnte aber niemanden finden.
Boukreev gab nicht auf. Er kehrte ins Lager zurück, ließ sich von Schoening und Beidleman noch einmal genau die Richtung erklären und zog dann wieder in den Sturm hinaus. Dieses Mal
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