In eisige Höhen
Amerikaner zu spät dran war?
Genau ein Jahr zuvor hatte Hall Hansen um 14 Uhr 30 am Südgipfel umkehren lassen, und so nahe vor dem Gipfel zurückgewiesen zu werden war für Hansen eine niederschmetternde Enttäuschung gewesen. Mehrmals sagte er mir, daß er vor allem deshalb an den Everest zurückgekehrt sei, weil Rob ihm immer wieder gut zugeredet hatte – er sagte, daß Rob ihn »ein Dutzend Mal« aus Neuseeland angerufen hatte und ihn bedrängte, es noch einmal zu versuchen – und dieses Mal war Doug absolut entschlossen, sich den Gipfel zu holen. »Ich will die Sache hinter mich bringen und sie endgültig aus meinem Leben haben«, hatte er mir drei Tage zuvor auf Camp Zwei gesagt. »Ich will nicht noch mal hierher zurückmüssen. Ich werd für diese Scheiße zu alt.«
Da Hall Hansen überredet hatte, an den Everest zurückzukehren, kann man sich leicht vorstellen, daß es ihm besonders schwergefallen wäre, Hansen den Gipfel ein zweites Mal zu verweigern. »Es ist sehr schwer, jemanden oben am Berg umkehren zu lassen«, gibt Guy Cotter zu bedenken, ein neuseeländischer Bergführer, der den Everest 1992 mit Hall bestiegen hatte und 1995, als Hansen seinen ersten Versuch machte, als Bergführer arbeitete. »Wenn ein Kunde sieht, daß der Gipfel ganz nah ist und er wild entschlossen ist, da raufzukommen, dann lacht er dir ins Gesicht und geht einfach weiter.« Wie der alterfahrene Bergführer Peter Lev der Zeitschrift
Climbing
nach den katastrophalen Ereignissen auf dem Everest sagte: »Wir glauben, daß die Leute uns dafür bezahlen, richtige Entscheidungen zu treffen, aber in Wirklichkeit zahlen sie uns dafür, sie auf den Gipfel zu bringen.«
Wie dem auch sei, Hall ließ Hansen nicht um 14 Uhr umkehren – und ebensowenig um 16 Uhr, als er seinem Kunden gleich unterhalb des Gipfels begegnete. Statt dessen legte Hall, Lopsang zufolge, Hansen den Arm um die Schulter und half dem Erschöpften die letzten 15 Meter zum Gipfel hoch. Sie blieben nur ein, zwei Minuten, dann kehrten sie um und traten den langen Abstieg an.
Als Lopsang sah, daß Hansen sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, wartete er kurz mit seinem eigenen Abstieg, um sicherzugehen, daß Doug und Rob es über eine Stelle mit gefährlichen Schneewächten gleich unterhalb des Gipfels schafften. Dann wollte er schnellstens zu dem bereits vor einer halben Stunde aufgebrochenen Fischer aufschließen, ging weiter den Gipfelgrat hinunter und ließ Hansen und Hall oberhalb der Hillary-Stufe zurück.
Kurz nachdem Lopsang die Felsstufe hinunter verschwunden war, ging Hansen allem Anschein nach der Sauerstoff aus, und er brach zusammen. Er hatte all seine Kraft in das Erreichen des Gipfels gesteckt – und jetzt fehlten ihm die Reserven für den Abstieg. »1995 ist Doug so ziemlich das gleiche passiert«, sagt Ed Viesturs, der, wie Cotter, damals für Hall als Bergführer arbeitete. »Beim Anstieg war mit ihm alles o.k., aber sobald es hinunterging, hatte er psychisch und physisch nichts mehr drauf. Da war nichts mehr, alles verbraucht.«
Um 16 Uhr 30, und ein weiteres Mal um 16 Uhr 41, gab Rob über Funk durch, daß er und Hansen oben auf dem Gipfel in Schwierigkeiten steckten und unbedingt Sauerstoff brauchten. Auf dem Südgipfel warteten zwei volle Flaschen auf sie. Wenn Hall dies gewußt hätte, hätte er die Flaschen relativ schnell holen und dann zurückklettern können, um Hansen einen frischen Behälter zu geben. Aber Andy Harris, der immer noch am Vorratslager war, bekam diese Funkrufe mit, schaltete sich ein und sagte Hall in seiner auf Sauerstoffmangel beruhenden geistigen Verwirrung – fälschlicherweise, ebenso wie er es Mike Groom und mir gesagt hatte –, daß alle Flaschen auf dem Südgipfel leer wären.
Groom, der sich gerade mit Yasuko Namba auf dem Südostgrat gleich oberhalb des Balkons befand, hörte das Gespräch zwischen Harris und Hall auf seinem Funkgerät mit an. Er versuchte Rob zu rufen, um die Fehlinformation richtigzustellen und ihn wissen zu lassen, daß auf dem Südgipfel sehr wohl volle Sauerstoff-Flaschen auf ihn warteten. Aber, wie Groom erklärte: »Mein Funkgerät hat nicht richtig funktioniert. Ich konnte zwar die meisten Funksprüche empfangen, aber wenn ich was durchgegeben habe, hat das fast niemand gehört. Ein paarmal hat Rob meine Funkrufe dann doch empfangen, und ich versuchte, ihm zu sagen, wo die vollen Stahlflaschen sind, wurde aber immer sofort von Andy unterbrochen, der durchgab, daß auf dem
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