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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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liebte – und die meine Liebe erwiderte. Nachdem ich auf ein recht erträgliches Berufsfeld gestoßen war, lebte ich zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich jenseits der Armutsgrenze. Meine Sehnsucht nach der Kletterei war, kurz gesagt, durch eine Vielfalt an kleineren Alltagsfreuden abgeschwächt worden, die alles in allem so etwas wie Glück ausmachten.
    Darüber hinaus war ich bei keiner meiner vergangenen Klettertouren auch nur annähernd in große Höhenlagen vorgedrungen. Genaugenommen war ich niemals über 5 200 Meter hinausgelangt – nicht einmal so hoch wie das Basislager des Everest.
    Als eifriger Student der Geschichte des Bergsteigens wußte ich, daß der Everest, seit die Briten sich 1921 zum ersten Mal an dem Berg versucht hatten, mehr als 130 Menschen das Leben gekostet hatte – was nichts anderes bedeutete, daß auf vier Bergsteiger, die den Gipfel erreicht hatten, ungefähr ein Toter kam – und daß viele von denen, die umgekommen waren, körperlich wesentlich besser in Form waren und weitaus mehr Höhenlagenerfahrung hatten als ich. Aber ich entdeckte, daß Kleine-Jungen-Träume nicht so leicht sterben, und der gesunde Menschenverstand konnte mich mal. Ende Februar 1996 rief Bryant mich an, um mir mitzuteilen, daß es in Rob Halls nächster Everest-Expedition noch Platz für mich gab. Als er mich fragte, ob ich mir auch sicher wäre, die Sache wirklich durchziehen zu wollen, sagte ich ja, ohne auch nur vorher Luft zu holen.
     

KAPITEL DREI
    Über Nordindien
29. März 1996
9150 Meter

Mit schroffer Stimme gab ich ihnen ein Gleichnis wieder. Ich sagte, ich rede vom Planeten Neptun, dem stinknormalen Neptun, und nicht vom Paradies, denn zufällig kenne ich das Paradies nicht. Ihr seht also, daß ich von euch spreche, von nichts anderem, einfach nur von euch. Nun gibt es da oben einen großen dicken Felsen, und – laßt mich euch warnen – die Menschen oben auf dem Neptun sind ganz schön dumm, vor allem deshalb, weil sich jeder dort in seine eigene kleine Welt abgekapselt hat. Und ein paar von ihnen – die, auf die ich eigentlich hinauswill –, ein paar von ihnen haben sich diesen Berg in den Kopf gesetzt. Ihr werdet's nicht glauben, sagte ich, eine Sache von Leben oder Tod, da war nichts zu machen, diese Leute hatten es sich nun mal in den Kopf gesetzt, und jetzt verbrachten sie jede freie Minute damit und all ihre Kräfte darauf, über die steilsten Felswände der Gegend den Wolken ihrer ganz privaten Herrlichkeit nachzujagen. Und einer wie der andere kehrten sie erbaut und frischen Mutes wieder zurück. Und sie hatten dazu auch allen Grund, sagte ich, denn es war schon amüsant zu verfolgen, wie die Leute sich sogar auf dem Neptun befleißigten, ausschließlich die leichter begehbaren und vergleichbar harmlosen Steilwände hochzuhangeln. Aber wie dem auch sei, es hatte so was wie Erbauung hinterlassen, und das war tatsächlich sichtbar, sowohl in ihrem entschlossenen Blick als auch in der Freude, die in ihren Augen leuchtete. Und wie ich bereits sagte, dies alles trug sich auf dem Neptun zu, nicht im Paradies, wo es ja vielleicht – was immerhin möglich wäre – nichts anderes zu tun gibt.
    JOHN MENLOVE EDWARDS
    Letter from a Man
     
    Zwei Stunden nach dem Start des Thai-Air-Fluges 311 von Bangkok nach Katmandu stand ich von meinem Platz auf und machte mich in den rückwärtigen Teil der Maschine auf. Neben der Waschbeckenzeile, Steuerbordseite, kauerte ich mich nieder und spähte – in der Hoffnung, ein paar Berge zu sehen – durch ein kleines, hüfthohes Fenster. Ich wurde nicht enttäuscht: Da standen die gezackten Schneidezähne des Himalaja und säumten den Horizont. Den Rest des Fluges verbrachte ich wie gebannt am Fenster, über einem Mülleimer mit leeren Mineralwasserflaschen und Essensresten, die Nase gegen das kalte Plexiglas gepreßt.
    Die riesige, massige Form des Kangchenjunga erkannte ich auf Anhieb. Er war mit 8586 Metern über dem Meeresspiegel der dritthöchste Berg der Erde. Eine Viertelstunde später tauchte der Makalu auf, der fünfthöchste Berg – und dann, endlich, das unverwechselbare Profil des Everest selbst.
    Der pechschwarze Keil der Gipfelpyramide hob sich deutlich ab und wachte über die umgebenden Bergkämme. Weit in den Strahlstrom der Erde hinaufragend, riß der Berg ein mit bloßem Auge erkennbares Loch in den mit über 200 Stundenkilometern dahinfegenden Orkan, wobei er eine diesige Fahne aus Eiskristallen verströmte, die wie ein Seidenschal

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