In eisige Höhen
Schweiz ging, um die berühmt-berüchtigte Eigernordwand zu besteigen, standen Linda und ich kurz vor der Trennung, und meine Kletterei war die Wurzel all unserer Schwierigkeiten.
Nach meinem gescheiterten Versuch, den Eiger zu besteigen, stand unsere Beziehung drei Jahre lang auf wackligen Beinen. Es waren harte Zeiten, aber unsere Ehe hielt. Linda lernte, meine Bergsteigerei zu akzeptieren: Ihr wurde klar, daß es ein wesentlicher (wenn auch schwer zugänglicher) Bestandteil meiner Persönlichkeit war. Im Bergsteigen, begriff sie, drückte sich irgendein seltsamer, unveränderlicher Charakterzug von mir aus, an dem ich genausowenig etwas ändern konnte wie an der Farbe meiner Augen. Dann, inmitten unserer behutsamen Wiederannäherung, kam von
Outside
die Bestätigung, daß man mich an den Everest schicken wird.
Am Anfang gab ich vor, ich ginge als Journalist und nicht als Bergsteiger hin – als hätte ich den Auftrag angenommen, weil die Kommerzialisierung des Everest ein interessantes Thema und die Bezahlung nicht schlecht sei. Ich erklärte Linda und jedem, der fand, daß der Himalaja vielleicht eine Nummer zu groß für mich wäre, daß ich aller Voraussicht nach nicht sehr hoch klettern würde. »Ich werd wohl nur ein bißchen übers Basislager hinauskraxeln«, meinte ich hartnäckig. »Einfach um mal einen Geschmack davon zu bekommen, wie das nun mit der Höhenluft wirklich ist.«
Das war natürlich völliger Unsinn. Wenn man den ganzen Aufwand bedenkt, die Länge der Reise und die Zeit, die ich brauchte, um mich körperlich fit zu machen, hätte ich, wenn ich zu Hause geblieben wäre und andere Schreibjobs angenommen hätte, wesentlich mehr Geld verdient. Ich nahm den Auftrag an, weil mich das Everest-Fieber gepackt hatte. In Wahrheit hatte ich noch nie in meinem Leben etwas so sehr gewollt, wie diesen Berg zu besteigen. Als ich das Angebot einmal angenommen hatte, war es von Anfang an meine Absicht, so hoch zu steigen, wie mich meine Beine und Lungen nur irgendwie trugen.
Als dann die Zeit gekommen war und Linda mich zum Flughafen fuhr, hatte sie mich längst durchschaut. Sie spürte die wahren Dimensionen meiner Sehnsucht, und sie machten ihr angst. »Wenn du dabei draufgehst«, warf sie mir mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut vor, »bist du nicht der einzige, der dafür den Preis zahlt. Ich muß dafür genauso zahlen, um das mal klarzustellen, und zwar mein Leben lang. Sag bloß, das ist dir egal.«
»Ich werd schon nicht drauf gehen«, antwortete ich. »Jetzt mach doch nicht so ein Drama draus.«
KAPITEL SIEBEN
Camp Eins
13. April
5.950 Meter
Nun gibt es jedoch Männer, auf die das Unerreichbare eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Für gewöhnlich handelt es sich dabei nicht um Spezialisten: Ihre Ziele und Träume sind stark genug, jene Zweifel beiseite zu wischen, die vorsichtigere Männer hegen. Ihre stärksten
Waffen sind Entschlossenheit und der Glaube ans Gelingen. Im besten Falle werden solche Männer als exzentrisch angesehen, im schlimmsten als verrückt...
Der Everest hat etliche solche Männer angezogen. Ihre Klettererfahrung reichte von schlichtweg nicht vorhanden bis sehr geringfügig und sicherlich hatte keiner dieser Männer die Art Erfahrung, die eine Besteigung des Everest als geeignetes Ziel erscheinen läßt. Drei Dinge waren ihnen allen gemein: Selbstvertrauen, große Entschlossenheit und Ausdauer.
WALT UNSWORTH
Everest
Ehrgeiz und Entschlossenheit wurden mir in die Wiege gelegt, zwei Tugenden, ohne die ich um einiges glücklicher geworden wäre. Ich grübelte viel und lange, und der in die Ferne gerichtete Blick des Träumers wurde mir zur Gewohnheit, denn von jeher waren es die fernen Gipfel, die mich faszinierten und mich im Geiste anzogen. Ich war mir nicht sicher, was man alles zu erreichen imstande war, wenn man nur wenig mehr als sein Ausdauervermögen in die Waagschale zu werfen hatte, aber das Ziel war hochgesteckt, und jeder Rückschlag ließ mich nur noch entschlossener werden, um wenigstens einmal einen großen Traum erfüllt zu sehen.
EARL DENMAN
Alone to Everest
An den Hängen des Everest fehlte es im Frühling 1996 wahrlich nicht an Träumern. Viele, die gekommen waren, den Berg zu besteigen, hatten nicht viel mehr an Erfahrung vorzuweisen als ich, wenn nicht weniger. Als für jeden von uns der Moment gekommen war, unsere eigenen Fähigkeiten einer realistischen Einschätzung zu unterziehen und sie gegen die gewaltige
Weitere Kostenlose Bücher