In eisige Höhen
zu. Nun war ich aber immer noch nicht völlig akklimatisiert, und obwohl ich mich bemühte, so schnell wie möglich zu gehen, kam kaum mehr als Kriechgeschwindigkeit dabei heraus.
Alle vier, fünf Schritte mußte ich anhalten, mich ans Seil lehnen und wie ein Erstickender nach der dünnen, bitteren Luft ringen, die mir gleichzeitig in den Lungen brannte.
Schließlich erreichte ich den flachen Gipfelabschnitt des Seracs, ohne daß er zusammenstürzte, und plumpste atemlos zu Boden. Mein Herz hämmerte wie ein Schlagbohrer. Wenig später, um 8 Uhr 30 herum, erreichte ich das Ende des Eisbruchs, gleich hinter dem letzten Serac. Trotz der Geborgenheit in Camp Eins kam ich nicht zur Ruhe: Immer wieder mußte ich an diesen Eisblock denken, der bedrohlich kippend nur ein Stück weiter unten lauerte, und an die Tatsache, daß ich mich noch mindestens siebenmal an seinen schwankenden Massen vorbeistehlen mußte, falls ich es auf den Gipfel des Everest schaffen wollte. Bergsteiger, die dies als die Doofie-Route verunglimpfen, so sagte ich mir, waren noch nie durch den Khumbu-Gletscherbruch geklettert.
Kurz bevor wir aufbrachen, hatte Rob uns erklärt, daß wir uns um Punkt 10 Uhr wieder auf den Rückweg zum Basislager machen würden, auch in dem Fall, daß nicht alle von uns Camp Eins erreicht hätten; es ginge ihm darum, die Mittagssonne zu vermeiden, die den Eisbruch noch unberechenbarer mache. Zum vereinbarten Zeitpunkt waren nur Rob, Frank Fischbeck, John Taske, Doug Hansen und ich im Camp Eins angekommen; Yasuko Namba, Stuart Hutchison, Beck Weathers und Lou Kasischke, die von Mike Groom und Andy Harris hochgeführt wurden, waren noch etwa sechzig, siebzig Höhenmeter vom Camp entfernt, als Rob per Funkgerät die Umkehr anordnete.
Zum ersten Mal hatten wir alle einander wirklich klettern gesehen und konnten so die Stärken und Schwächen der anderen, auf die jeder von uns in den nächsten Wochen angewiesen war, einschätzen. Doug und John – mit sechsundfünfzig der älteste im Team – hatten ganz gut ausgesehen. Aber Frank, der gebildete, stets leise sprechende Verleger aus Hongkong, hatte den besten Eindruck hinterlassen: Er bewies sein ganzes Knowhow, das er sich auf den drei vorhergehenden Everest-Expeditionen erworben hatte, indem er langsam anfing, aber immer das gleiche, beständige Tempo beibehielt. Als er am oberen Ende des Eisbruchs ankam, hatte er in aller Stille beinahe jeden überholt, und er schien nicht einmal schwer zu atmen.
In auffallendem Gegensatz dazu stand Stuart – der jüngste und scheinbar kräftigste im ganzen Team. Er hatte es furchtbar eilig gehabt, vor allen anderen aus dem Lager zu kommen, sich dann aber bald verausgabt. Als es schließlich auf das Ende des Eisbruchs zuging, konnte er kaum mehr weiter und fiel weit zurück. Lou, der sich am Morgen des ersten Tages auf dem Trek zum Basislager eine Muskelzerrung im Bein zugezogen hatte, die ihm noch immer zu schaffen machte, war langsam, aber offenbar ein fähiger, erfahrener Bergsteiger. Beck und vor allem Yasuko wiederum hatten nicht so überzeugend gewirkt.
Beide schienen mehrere Male drauf und dran zu sein, von einer Leiter in eine Gletscherspalte zu stürzen. Yasuko schien keine Ahnung vom Gebrauch von Steigeisen zu haben. Andy war als nachgeordneter Bergführer die Aufgabe zugeteilt worden, mit den Nachzüglern am Ende des Zuges zu klettern. Er brachte den ganzen Morgen damit zu, ihr die grundlegenden Eisklettertechniken beizubringen und stellte sich als begabter, extrem geduldiger Lehrer heraus.
Ungeachtet der Mängel, die innerhalb unserer Gruppe zutage traten, verkündete Rob oben auf dem Gletscherbruch, daß er sehr zufrieden sei und daß alle eine ausgezeichnete Leistung geboten hätten. »Dafür, daß ihr das erste Mal übers Basislager hinausgekommen seid, habt ihr euch bemerkenswert gut geschlagen«, erklärte er wie ein stolzer Vater. »Ich glaub, wir haben dieses Jahr eine ganz schön starke Truppe zusammen.«
Der Abstieg zum Basislager dauerte nur etwas mehr als eine Stunde. Als ich mir für die letzten hundert Meter zu den Zelten die Steigeisen abnahm, hatte ich das Gefühl, als würde die Sonne mir geradewegs ein Loch in den Schädel bohren. Das Kopfweh machte sich jedoch erst ein paar Minuten später richtig bemerkbar, als ich mit Helen und Chhongba im Speisezelt plauderte. So etwas hatte ich noch nie erlebt: ein marternder Schmerz zwischen den Schläfen – Schmerz, der so stark war, daß mich Wellen der
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