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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Wanderschaft, um sich das Abc des Bergsteigens anzueignen. Im Mai 1933 hob er in seinem winzigen Flieger ab und nahm via Kairo, Teheran und Indien Kurs auf den Everest.
    Zu jenem Zeitpunkt hatte Wilson bereits für erhebliches Aufsehen in der Presse gesorgt. Er flog nach Purtabpur in Indien, aber da ihm die Regierung Nepals keine Genehmigung erteilte, das Land zu überfliegen, verkaufte er die Maschine kurzerhand für 500 Pfund und reiste auf dem Landweg nach Darjeeling weiter. Dort angekommen, erfuhr er, daß auch Tibet ihm die Einreise verweigerte. Dies ließ ihn ebenfalls kalt: Im März 1934 heuerte er drei Sherpas an, verkleidete sich als buddhistischer Mönch, trotzte den Behörden des Raj und trekkte heimlich 300 Meilen durch die Wälder von Sikkim und dem tibetischen Trockenplateau. Am 14. April kam er am Fuße des Everest an.
    Er wanderte über das von Felsschutt übersäte Eis des EastRongbuk-Gletschers und kam anfänglich gut voran, bis ihn schließlich seine Unkenntnis im Besteigen von Gletschern doch zum Verhängnis wurde. Er irrte umher, verlor den Mut und war bald völlig erschöpft. Trotzdem wollte er nicht aufgeben.
    Mitte Mai hatte er das obere Ende des East-Rongbuk-Gletschers bei 6400 Metern erreicht und plünderte ein Proviant-und Ausrüstungslager, das bei Eric Shiptons erfolglos verlaufener Expedition 1933 angelegt worden war. Von dort aus stieg er
    die zum Nordsattel führenden Steilhänge hoch. Er drang bis auf 6.900 Meter vor, bevor ein vertikaler Eishang, der schlicht und ergreifend zu schwierig für ihn war, ihn zum Rückzug zu Shiptons Vorratslager zwang. Aber kapitulieren wollte er dennoch nicht. Am 28. Mai schrieb er in sein Tagebuch: »Ich werde es ein letztes Mal versuchen, und ich bin sehr zuversichtlich«, woraufhin er sich ein weiteres Mal auf den Weg nach oben machte.
    Ein Jahr später, als Shipton zum Everest zurückkehrte, stieß seine Expedition am Fuß des Nordsattels im Schnee auf Wilsons steinhart gefrorene Leiche. »Nachdem wir hin und her überlegt hatten, was zu tun sei, beschlossen wir, ihn in einer Gletscherspalte zu begraben«, schrieb Charles Warren, einer der Bergsteiger, die die Leiche gefunden hatten. »Wir zogen damals alle den Hut vor ihm, und ich glaube, daß die Sache uns allen einen ziemlichen Schreck eingejagt hatte. Ich wiegte mich damals in dem Glauben, daß mir der Anblick von Leichen nichts mehr anhaben könnte, aber irgendwie, unter den damaligen Umständen und weil er letztlich das gleiche tat wie wir, schien seine Tragödie uns allen ziemlich nahezugehen.«
    Die in jüngster Zeit um sich greifende rasante Vermehrung moderner Wilsons und Denmans auf den Hängen des Everest einigermaßen qualifizierte Träumer wie einige meiner Kameraden – ist ein Phänomen, das heftigste Kritik hervorgerufen hat. Aber die Frage, wer auf den Everest gehört und wer nicht, ist vielschichtiger, als es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Die Tatsache, daß ein Bergsteiger einen erheblichen Geldbetrag gezahlt hat, um bei einer von einem Bergführer geleiteten Expedition dabeisein zu dürfen, heißt noch lange nicht, daß er oder sie auf dem Berg eigentlich nichts zu suchen hat. Tatsächlich gab es im Frühling 1996 mindestens zwei kommerzielle Everest-Expeditionen, bei denen Himalaja-Veteranen mitkletterten, die selbst nach strengsten Maßstäben als geeignet durchgehen würden.
    Als ich am 13. April im Camp Eins oben auf dem Gletscherbruch auf meine Teamkameraden wartete, zogen ein paar Bergsteiger von Scott Fischers Mountain-Madness-Expedition im eindrucksvollen Tempo an mir vorbei. Unter ihnen war Klev Schoening, ein achtunddreißigjähriger Bauunternehmer aus Seattle und ehemaliges Mitglied der US-Skimannschaft. Schoening ist zwar außergewöhnlich kräftig, doch fehlte ihm jegliche Höhenluft-Erfahrung. In seiner Begleitung befand sich allerdings sein Onkel, Pete Schoening, eine lebende Himalaja-Legende.
    Pete, der in ein paar Monaten neunundsechzig wurde, war ein schmächtiger, leicht gebeugter Mann in verblichenem, abgetragenem GoreTex. Nach langer Abwesenheit war er wieder in den Himalaja zurückgekehrt. 1958 hatte er als die treibende Kraft hinter der Erstbesteigung des Hidden Peak, einem 8.068 Meter hohen Berg im Karakorum-Gebirge von Pakistan, Geschichte geschrieben – damals die höchste Erstbesteigung durch einen amerikanischen Bergsteiger. Noch größere Berühmtheit hatte Pete jedoch für die heroische Rolle erlangt, die er bei der gescheiterten

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