In eisige Höhen
Gesicht im Schnee lag – die Spritze ins Fleisch jagte. »Als ich über den Hügel kam und Sandy dort liegen sah, während Charlotte über ihr stand und mit einer Subkutanspritze herumwedelte, da hab ich gedacht: ›Scheiße, Mann, jetzt haben wir den Salat.‹ Ich habe Sandy gefragt, was los ist, und als sie dann geantwortet hat, kam aus ihrem Mund nur irgendein unverständliches Gestammel.« Bei Beidleman klingelten sämtliche Alarmglocken, und er wies Gammelgaard an, ihre volle Sauerstoff-Flasche gegen Pittmans fast leere zu tauschen. Dann stellte er sicher, daß der Regler voll aufgedreht war, packte die halb bewußtlose Pittman an ihrer Vergürtung und schleppte sie nun den steilen, schneebedeckten Südostgrat hinunter. »Wenn ich sie einmal ins Gleiten gebracht hatte«, erklärt er, »habe ich sie losgelassen und bin vor ihr hergerutscht. Alle fünfzig Meter oder so hab ich angehalten, mir das Festseil um die Hände gewickelt und mich dann bereitgemacht, um sie mit dem Körper aufzuhalten, wenn sie angerauscht kam. Als sie das erste Mal in mich hineingerauscht ist, haben sich die Spitzen ihrer Steigeisen in meinen Daunenanzug gebohrt. Die Daunen sind überall rumgeflogen.« Zur allgemeinen Erleichterung taten die Spritze und die Extradosis Sauerstoff ihre Wirkung. Die wiederbelebte Pittman war bald in der Lage, den Abstieg aus eigenen Kräften fortzusetzen.
Gegen 17 Uhr, während Beidleman weiter seine Gruppe den Grat hinuntergeleitete, kamen 150 Meter unterhalb von ihnen Mike Groom und Yasuko Namba auf dem Balkon an. An diesem 8.400 Meter hoch gelegenen Felsvorsprung führt die Route vom Grat herunter und biegt nach Süden zum Camp Vier ab. Als Groom jedoch durch den im Wind wogenden Schnee in die entgegengesetzte Richtung blickte – an der Nordseite des Grats hinunter –, bemerkte er in dem dämmrigen Licht einen einsamen Kletterer, der völlig von der Route abgekommen war: Es war Martin Adams, der sich in dem Sturm verirrt hatte und drauf und dran war, die Kangshung-Wand Richtung Tibet hinabzusteigen.
Als Adams Groom und Namba weiter oben entdeckte, bemerkte er seinen Irrtum und kletterte langsam Richtung Balkon zurück. »Als Martin schließlich bei mir und Yasuko ankam, war er ziemlich hinüber«, meint Groom. »Seine Sauerstoffmaske war ab, und auf seinem Gesicht klebte eine dicke Schneekruste. Er hat gefragt: ›Wo geht's zu den Zelten?‹« Groom zeigte ihm den Weg, und Adams marschierte, ohne Zeit zu verlieren, an der richtigen Seite des Grats hinunter, den Weg, den ich mir vor vielleicht zehn Minuten gebahnt hatte.
Während Groom oben auf dem Grat auf Adams wartete, schickte er Namba voraus und machte sich daran, die Kameratasche wiederzufinden, die er auf dem Hinweg dort zurückgelassen hatte. Als er so umhersuchte, bemerkte er plötzlich, daß da noch jemand mit ihm auf dem Balkon war. »Er verschwand förmlich im Schnee, fast als hätte er sich getarnt, und ich hab ihn deshalb anfänglich für einen von Fischers Gruppe gehalten und ihn ignoriert. Dann steht dieser Schneemensch plötzlich vor mir und sagt: ›Hallo, Mike‹, und ich sehe, daß es Beck ist.«
Groom, der ebenso überrascht war, Beck zu sehen, wie ich es gewesen war, holte sein Seil heraus, nahm den Texaner ans Kurzseil und machte sich mit ihm auf den Weg Richtung Südsattel. »Beck war dermaßen blind«, berichtet Groom, »daß er alle zehn Meter ins Nichts trat, in die freie Luft hinaus, und ich mußte ihn dann am Seil auffangen. Zigmal hab ich gedacht, daß er mich gleich mit sich reißt. Es war nervenzermürbend, Scheiße noch mal! Ich mußte die ganze Zeit aufpassen, daß ich das Seil auch wirklich richtig mit dem Eispickel gesichert habe und daß die Spitzen von den Steigeisen frei sind und richtig fest im Untergrund sitzen.«
Einer nach dem anderen folgten sie den Spuren, die ich 15 oder 20 Minuten zuvor gemacht hatte, und marschierten durch den immer schlimmer werdenden Schneesturm. Adams war hinter mir, den anderen voraus. Dann kamen Namba, Groom und Weathers, danach Schoening, Gammelgaard und Beidleman und schließlich Pittman, Fox und Madsen.
150 Meter unterhalb des Südgipfels, wo der steile Schieferfels in einen sanfter ansteigenden Schneehang übergeht, ging Namba der Sauerstoff aus, und die kleine Japanerin setzte sich auf den Boden und weigerte sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. »Als ich ihr die Sauerstoffmaske abnehmen wollte, damit sie besser atmen kann«, erzählt Groom, »hat sie sie einfach
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