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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Erinnerung, die Zukunft – darauf abgesehen, die ganze prächtige Welt aus seinem Angesicht zu fegen, indem sie ihm kurzerhand das Leben nimmt.
    JOSEPH CONRAD
    Lord Jim
     
    Neal Beidleman erreichte um 13 Uhr 25 mit einem Kunden, Martin Adams, den Gipfel. Als sie dort ankamen, standen bereits Andy Harris und Anatoli Boukreev da. Ich war acht Minuten zuvor von dort aufgebrochen. Beidleman, der davon ausging, daß der Rest seines Teams auch bald auftauchen würde, schoß ein paar Fotos und alberte noch ein bißchen mit Anatoli Boukreev herum. Dann setzte er sich und wartete. Um 13 Uhr 45 nahm Klev Schoening die letzte Steigung. Er zog ein
    Foto von seiner Frau und seinen Kindern heraus und hielt eine tränenreiche Feier ab anläßlich seiner Ankunft auf dem höchsten Punkt der Erde.
    Vom Gipfel aus blockiert ein kleiner Hügel im Berggrat die Sicht auf den restlichen Teil der Route, und um 14 Uhr – der festgesetzten Umkehrzeit – war von Fischer oder den anderen Kunden weit und breit nichts zu sehen. Beidleman fing an, sich Sorgen über die vorgerückte Zeit zu machen.
    Der sechsunddreißigjährige gelernte Flugzeugingenieur war ein ruhiger, bedächtiger, extrem gewissenhafter Bergführer. Er war bei den meisten Mitgliedern sowohl in seinem als auch in Halls Team sehr beliebt. Darüber hinaus war er einer der stärksten Kletterer auf dem Berg. Vor zwei Jahren hatte er zusammen mit Boukreev – den er als guten Freund betrachtete den 8463 Meter hohen Makalu in Beinahe-Rekordzeit ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne Sherpa-Unterstützung bestiegen. Er hatte Fischer und Hall zum ersten Mal 1992 auf den Hängen des K2 getroffen, wo seine Kompetenz und Gelassenheit auf beide Männer einen günstigen Eindruck hinterlassen hatten. Da Beidlemans Höhenlagenerfahrung jedoch relativ begrenzt war (der Makalu war sein einziger wichtiger Himalaja-Gipfel), stand er in der Rangfolge der Mountain-Madness-Führung unter Fischer und Boukreev. Sein untergeordneter Status zeigte sich an seiner Bezahlung: Er hatte sich damit einverstanden erklärt, den Everest für 10000 Dollar zu führen; Boukreev bekam dagegen von Fischer 25 000.
    Beidleman, eine sensible Natur, war sich über seinen Rang in der Hackordnung völlig im klaren. »Ich war dort ganz klar die Nummer drei«, gestand er nach der Expedition, »weshalb ich auch immer darauf bedacht war, mich nicht zu sehr in den Vordergrund zu schieben. Daher habe ich nicht immer den Mund aufgemacht, wenn's vielleicht angebracht gewesen wäre, und jetzt könnte ich mir dafür in den Arsch beißen.«
    Beidleman sagte, daß nach Fischers lose formuliertem Plan für den Gipfeltag Lopsang Jangbu ganz vorne klettern sollte, im Gepäck ein Funkgerät und zwei Seilrollen, die vor dem Kundentroß anzubringen waren. Boukreev und Beidleman – die beide ohne Funkgerät operierten – sollten sich »in der Mitte oder nahe der Spitze aufhalten, je nachdem, wie die Leute vorankamen«. Und Scott, der das zweite Funkgerät hatte, sollte den »Aufräumer« machen. Auf Vorschlag von Rob hatten wir beschlossen, eine Umkehrzeit von 14 Uhr durchzusetzen: Jeder, der um 14 Uhr weit mehr als einen Steinwurf weit vom Gipfel entfernt war, mußte umkehren und zurück nach unten.
    »Es war eigentlich Scotts Aufgabe, die Leute umkehren zu lassen«, erklärte Beidleman. »Wir haben uns darüber unterhalten. Ich habe ihm gesagt, daß mir bei dem Gedanken nicht ganz wohl ist, als dritter Bergführer Leuten, die 65 000 Dollar gezahlt haben, zu sagen, daß sie runter müssen. Scott hatte dann zugesagt, daß er das übernehmen würde. Was schließlich nicht der Fall war, warum auch immer.« Tatsächlich waren die einzigen, die den Gipfel vor 14 Uhr erreichten, Boukreev, Harris, Beidleman, Adams, Schoening und ich. Wenn Fischer und Hall sich an ihre Ankündigung gehalten hätten, dann hätten alle anderen noch vor dem Gipfel zurückgemußt.
    Nun hatte Beidleman, dem langsam mulmig wurde, als er sah, wie die Zeit verstrich, kein Funkgerät und damit keine Möglichkeit, die Lage mit Fischer zu besprechen. Von Lopsang
    -der eins hatte – war immer noch weit und breit nichts zu sehen. Als Beidleman Lopsang in der Früh auf dem Balkon begegnet war, wie er sich im Schnee kniend übergab, hatte er die beiden Seilrollen des Sherpas mitgenommen, um damit die steilen Felsstufen weiter oben zu sichern. Wie er jedoch nun beklagt, »bin ich gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, auch das Funkgerät mitzunehmen«.
    Letztlich lief es

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