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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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darauf hinaus, so erzählt Beidleman weiter, »daß ich für eine sehr lange Zeit auf dem Gipfel herumgesessen, ständig auf die Uhr geschaut und darauf gewartet habe, daß Scott endlich auftaucht. Ich habe auch mit dem Gedanken gespielt, mich einfach auf den Weg nach unten zu machen aber jedesmal, wenn ich aufgestanden bin und gehen wollte, kam wieder jemand von unseren Leuten über den Scheitel vom Gipfelgrat gestiefelt, und ich setzte mich wieder, um auf sie zu warten.«
    Sandy Pittman tauchte gegen 14 Uhr 10 auf der letzten Erhebung auf, kurz vor Charlotte Fox, Lopsang Jangbu, Tim Madsen und Lene Gammelgaard. Pittman schleppte sich jedoch nur noch ganz langsam fort, und vor dem Gipfel sackte sie im Schnee auf die Knie. Als Lopsang herbeikam, um ihr zu helfen, sah er gleich, daß ihr Sauerstoffbehälter – ihr dritter – leer war. Als er Pittman in der Früh ans Kurzseil genommen hatte, hatte er auch ihren Sauerstoffhahn voll aufgedreht – vier Liter pro Minute. Folglich hatte Pittman ihre gesamten Vorräte relativ schnell verbraucht. Glücklicherweise hatte Lopsang – der ohne zusätzlichen Sauerstoff kletterte – eine Ersatzflasche in seinem Rucksack. Er schloß Pittmans Maske und Regler an die frische Flasche an. Dann erklommen sie die letzten Meter zum Gipfel und schlossen sich der Freudenfeier an, die dort oben im Gange war.
    Rob Hall, Mike Groom und Yasuko Namba erreichten den Gipfel ebenfalls um diese Zeit. Hall gab einen Funkspruch an Helen Wilton im Basislager durch und teilte ihr die freudige Nachricht mit. »Rob sagte, daß es dort oben kalt und windig sei«, weiß Wilton noch, »aber er schien guter Dinge. Er hat gesagt: ›Doug taucht gerade am Horizont auf. Wenn er hier ist, gehen wir runter... Wenn du von mir nichts mehr hören solltest, heißt das, daß alles in Ordnung ist.‹« Wilton informierte das Adventure-Consultants-Büro in Neuseeland, und ein Schwall von Telefaxen mit der Verkündigung des triumphalen Ausgangs der Expedition ging an Freunde und Familienmitglieder in der ganzen Welt hinaus.
    Aber weder Doug Hansen noch Scott Fischer befanden sich zu dem Zeitpunkt gleich unterhalb des Gipfels, wie Hall glaubte. Fischer erreichte den Gipfel nicht vor 15 Uhr 40, und Hansen kam dort erst nach 16 Uhr an.
    Am Nachmittag zuvor – Donnerstag, den 9. Mai –, als wir alle von Camp Drei zu Camp Vier geklettert waren, hatte Fischer die Zelte auf dem Südsattel erst nach 17 Uhr erreicht. Als er dort ankam, war er sichtlich erschöpft, obwohl er sich Mühe gab, seinen Zustand vor seinen Kunden zu verbergen. »An jenem Abend«, erinnert sich Charlotte Fox, die mit ihm das Zelt teilte, »hätte ich nicht sagen können, daß mit Scott irgendwas nicht in Ordnung ist. Er hat sich benommen wie Mr. Draufgänger persönlich und hat die Leute richtig heiß gemacht auf morgen wie ein Footballtrainer vor einem großen Spiel.«
    In Wahrheit war Fischer von den körperlichen und seelischen Anstrengungen der letzten Wochen am Ende seiner Kräfte angelangt. Obwohl ein Mann mit außergewöhnlichen Energiereserven, war er mit ebendiesen Reserven verschwenderisch umgegangen. Als er dann schließlich auf Camp Vier eintraf, waren sie fast gänzlich aufgebraucht. »Scott starker Mensch«, sagte Boukreev anerkennend nach der Expedition, »aber vor Gipfeltag ist müde, hat viele Probleme, hat fast all seine Kräfte aufgebraucht. Sorgen, Sorgen, Sorgen. Scott nervös, aber er innen drin für sich behalten.«
    Fischer verbarg vor allen anderen ebenfalls die Tatsache, daß er während des Gipfelmarsches unter Umständen klinisch krank war. 1984 war er auf einer Expedition an Nepals Annapurna-Massiv von einer mysteriösen Krankheit befallen worden, die sich schließlich zu einer chronischen Lebererkrankung ausgewachsen hatte. In den Jahren danach suchte er zahllose Ärzte auf und unterzog sich einer ganzen Reihe von Untersuchungen; eine endgültige Diagnose kam dabei jedoch nie heraus. Fischer sprach von seinem Leiden schlicht als »Leberzyste«, erzählte nur wenigen Leuten davon und versuchte so zu tun, als sei es nichts Ernsthaftes.
    »Was auch immer es war«, sagte Jane Bromet, die zu den wenigen guten Freunden gehörte, die eingeweiht waren, »es rief jedenfalls malariaähnliche Symptome hervor, aber es war nicht Malaria. Er bekam dann diese schlimmen Schweißausbrüche und
    Schüttelanfälle. Die Anfälle haben ihn richtig flachgelegt, aber nur so zehn, fünfzehn Minuten gedauert und sind dann weggegangen.
    In

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