In eisige Höhen
Seattle hat er die Anfälle ungefähr so einmal die Woche bekommen, aber wenn er unter Streß stand, sind sie häufiger aufgetreten. Im Basislager hat er sie ziemlich oft gekriegt – jeden zweiten Tag, manchmal jeden Tag.«
Falls Fischer solche Anfälle auf Camp Vier oder darüber erlitt, so erwähnte er sie nie mit einem Wort. Fox berichtete, daß er, gleich nachdem er Donnerstag abend ins Zelt gekrochen war, »völlig fertig alle viere von sich gestreckt hat und für ungefähr zwei Stunden in eine Art Tiefschlaf gefallen ist«. Als er um 22 Uhr aufwachte, kam er kaum aus den Federn und blieb noch lange, nachdem seine letzten Kunden, Bergführer und Sherpas zum Gipfel aufgebrochen waren, im Lager.
Es ist nicht genau bekannt, um welche Uhrzeit Fischer Camp Vier tatsächlich verließ; vielleicht sogar erst um 1 Uhr nachts, am Freitag, dem 10. Mai. Am Gipfeltag lag er die meiste Zeit weit hinter den anderen zurück und kam erst gegen 13 Uhr auf dem Südgipfel an. Ich sah ihn das erste Mal gegen 14 Uhr 45, als ich mich bereits auf den Weg nach unten gemacht hatte und mit Andy Harris oberhalb der Hillary-Stufe darauf wartete, daß die Leute den Weg frei machten. Fischer kam als letzter das Seil hochgeklettert und machte einen reichlich erschöpften Eindruck.
Nachdem wir ein paar Nettigkeiten ausgetauscht hatten, unterhielt er sich kurz mit Martin Adams und Anatoli Boukreev, die gleich oberhalb von Harris und mir standen und ebenfalls warten mußten. »Hey, Martin«, spöttelte er durch seine Sauerstoffmaske und bemühte sich, möglichst locker zu klingen, »meinst du, du kannst den Mount Everest besteigen?«
»Hey, Scott«, erwiderte Adams, ein wenig verärgert, daß Fischer ihm nicht seinen Glückwunsch ausgesprochen hatte, »genau das habe ich gerade getan.«
Danach wechselte Fischer ein paar Worte mit Boukreev.
Adams zufolge sagte Boukreev zu Fischer: »Ich geh mit Martin runter.« Dann stapfte Fischer weiter Richtung Gipfel. Harris, Boukreev, Adams und ich wandten uns um, um uns an der Fels-stufe abzuseilen. Niemand verlor ein Wort über Fischers angeschlagenen Zustand. Wir kamen gar nicht auf den Gedanken, daß mit ihm vielleicht irgend etwas nicht stimmte.
Um 15 Uhr 10 war Fischer immer noch nicht auf dem Gipfel angekommen, erzählt Beidleman und fügt hinzu: »Ich sagte mir, daß es an der Zeit war, schleunigst hier zu verschwinden, obwohl von Scott immer noch nichts zu sehen war.« Er rief Pittman, Gammelgaard, Fox und Madsen zusammen und machte sich mit ihnen auf den Weg, den Gipfelgrat hinunter. 20 Minuten später, gleich oberhalb der Hillary-Stufe, stießen sie auf Fischer. »Ich hab dann eigentlich kaum was gesagt«, meint Beidleman. »Er hat bloß so halb seine Hand gehoben. Er schien sich ganz schön abzuplacken, aber es war Scott, ich hab mir also nicht groß Sorgen gemacht. Ich hab gedacht, jetzt zockelt er noch zum Gipfel hoch, und dann wird er uns ziemlich schnell einholen, um zu helfen, die Leute runterzubringen.«
Beidlemans größte Sorge galt damals Pittman: »Zu dem Zeitpunkt waren alle ganz schön fertig, aber Sandy wirkte besonders wackelig auf den Beinen. Ich habe gedacht, wenn ich sie nicht ganz genau im Auge behalte, dann rollt sie mir noch vom Berggrat. Ich habe also geschaut, daß sie sich auch richtig ins Fixseil eingehakt hat, und an Stellen, wo kein Seil war, habe ich sie von hinten an ihrer Klettervergürtung genommen und sie eng bei mir gehalten, bis wieder ein Abschnitt mit Seil kam. Sie war dermaßen am Ende, daß ich mich fragte, ob sie überhaupt mitgekriegt hat, daß ich da war.«
Etwas unterhalb des Südgipfels, wo die Gruppe in eine dichte Wolkendecke mit Schneefällen hinabstieg, brach Pittman erneut zusammen und bat Fox, ihr eine Spritze mit Dexamethason zu verabreichen, einem starken Hormonpräparat. »Dex«, wie es allgemein genannt wird, kann die negativen Wirkungen von Höhenluft vorübergehend aufheben. Jeder in Fischers Team bewahrte für den Notfall eine präparierte Spritze dieses Medikaments in einem Zahnbürstenbehälter aus Plastik im Daunenanzug auf, damit es nicht zu Eis gefror. »Ich habe Sandys Hose ein Stück runtergezogen«, weiß Fox noch, »und ihr dann die Nadel voll in die Hüfte gerammt, mitten durch ihre langen Unterhosen und so weiter.«
Beidleman, der kurz auf dem Südgipfel zurückgeblieben war, um den Sauerstoffvorrat durchzusehen, kam genau in dem Augenblick am Schauplatz des Geschehens an und sah noch, wie Fox Pittman – die mit dem
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