Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
Vom Netzwerk:
anzusehen.
    „Kannst Du mir bitte mal schnell mein Fahrrad aus der Garage holen? Dauert nur eine Minute.“
    „Gleich. Setz dich doch inzwischen. Willst du was trinken? Gerda bringt dir was.“
    „Gerda kann mich mal. Und du auch.“
    Die Wanderer schauten überrascht auf.
    „Der freundliche Wirt, der Ihnen den Weg erklärt. Jetzt sag ich Ihnen mal, was das für einer ist. Er hat mir heute Früh das Fahrrad geklaut, als ich bewusstlos war, hat es weggesperrt, und seitdem...“
    „Nelli, ich glaub, du solltest dir überlegen, was du sagst.“
    „Und seitdem hält er mich hin, stundenlang schon. Ich weiß nicht, warum er das tut, aber eins weiß ich sicher“, sagte Nelli leise und noch immer freundlich.
    Abrupt schlug sie mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser überschwappten.
    „Wenn ich nicht auf der Stelle mein Fahrrad bekomme, dann werd ich zur Furie! Ich – will – jetzt – mein – Eigentum – zurück!“
    „Entschuldigung“, murmelte Andi und stand auf. Er ging an Nelli vorbei zur Tür, blieb dort kurz stehen und machte eine Kopfbewegung.
    „Na komm schon.“
    Sie folgte ihm in den Flur und zur Haustür. Er öffnete und hielt ihr die Tür auf.
    Draußen angekommen, bereitete sich Nelli auf eine Konfrontation mit ihm vor. Er aber ging schweigend vor ihr her zur Garage, zog seinen Schlüsselbund hervor, steckte zielsicher einen der Schlüssel ins Schlüsselloch und hob, während er ihn herumdrehte, die Tür am Griff leicht an.
    Nelli machte einen Schnaufer, als sie kapierte.
    „Das hättest du mir auch sagen können.“
    Er schaute sie verständnislos an.
    „Dass man die Tür anheben muss.“
    „Ist mir schon in Fleisch und Blut übergegangen, das zu machen. Hab ich wohl nicht daran gedacht, entschuldige.“
    Er ging hinein, und sie wollte ihm folgen. Er stoppte sie mit einer Handbewegung.
    „Warte bitte hier.“
    Sofort vermutete sie eine neue Verzögerungstaktik, aber sie fügte sich.
    Keine zehn Sekunden später kam er mit ihrem Fahrrad zurück, schob es heraus und übergab es ihr. Nelli erkannte es auf den ersten Blick, aber sie war so darauf eingestellt gewesen, es nie wieder zu sehen, dass sie ungläubig daran herumtastete und nur mit Mühe die Freudentränen zurückhalten konnte.
    „Bitte prüf nach, ob alles da ist. Ich will mir später nicht nachsagen lassen, ich hätte dich bestohlen.“
    Nelli tat ihr Verhalten plötzlich leid. Sie hatte ihm unrecht getan, wahrscheinlich. Aber das war jetzt egal. Sie würde ihn sowieso nie wiedersehen, und die Erleichterung war stärker als ihr schlechtes Gewissen.
    Sie ließ die Blicke über das Fahrrad schweifen, sah eine Schramme am Lenker und ein paar Kratzer am Rahmen, die wohl vom Sturz herrührten. Lenker, Bremsen, Licht, alles funktionierte. Die Reifen waren prall aufgepumpt – beinahe fester, als sie es in Erinnerung hatte. Alle Reißverschlüsse an den Packtaschen waren geschlossen.
    Sie zog sie der Reihe nach auf, überprüfte den Inhalt, fand ihre Kleidung, ihr Kochgeschirr, ihre Vorräte, ihr Werkzeug, alles scheinbar unberührt und am rechten Platz. Zwischen ihrer Unterwäsche steckte ihr wertvollster Besitz: Mit einem Seufzer der Erleichterung strich sie über die Schutzhülle ihres Tagebuches. Und wenn alles weg gewesen wäre, Hauptsache das hatte sie zurück.
    „Alles klar.“
    „Na dann, mach’s gut.“
    Andi wandte sich ab und wollte zum Haus zurück gehen. Nelli bockte schnell ihr Fahrrad auf und folgte ihm.
    „Warte.“
    Sie zog ihre Mappe mit dem Geld hervor, öffnete sie und fischte einen 20-Euro-Schein heraus. Andi hob beide Hände.
    „Nein, ich will kein Geld von dir.“
    „Aber...“
    „Ich hab gesagt, ich lade dich ein, und das gilt.“
    „Aber nach all dem Ärger...“
    „Für uns hier oben ist Gastfreundschaft sehr wichtig, Nelli. Auch wenn manche Gäste sich ihrer als nicht würdig erweisen.“
    Mit einem kurzen Blick musterte er sie noch einmal, nicht abfällig, aber Nelli interpretierte es so. Beschämt blieb sie mit ihrem Geld in der Hand stehen und sah zu, wie er zum Haus ging, die Tür öffnete und darin verschwand, ohne sich noch mal umgedreht zu haben.
    Sie war drauf und dran, ihm hinterherzulaufen und sich zu entschuldigen, bei ihm und auch der Wandergruppe. Nicht mal bedankt hatte sie sich.
    Aber, verdammt noch mal, was der in den letzten Stunden abgezogen hatte, war nicht Gastfreundschaft gewesen, sondern fast schon Psychoterror.
    Nelli entzog sich ihren widersprüchlichen Gefühlen durch eine

Weitere Kostenlose Bücher